"Willkür wie zu Kaisers Zeiten

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ExitUser

Gast
gehört zwar zum Fall Emmely, aber was da geschrieben wurde, passt auch auf andere Fälle.

Wer in Deutschlands Arbeitswelt seine verfassungsmäßigen Rechte wahrnimmt, wer gar in der Gewerkschaft ist und an Streiks teilnimmt, sollte in Zukunft nicht nur seinen Anwalt ständig in Rufweite haben, sondern bei seiner Arbeit auch polizeilichen Schutz in Form amtlicher Verfilmung seiner beruflichen Tätigkeit anfordern.

Das lehrt zumindest der Fall Kaiser’s gegen Barbara E., inzwischen auch als “Emmely” bekannt.

Wegen des Verdachts auf Diebstahl von Pfandbons im Wert von 1,30 Euro wurde Barbara E., eine Mitarbeiterin bei Kaiser’s nach 30-jähriger Tätigkeit im Supermarkt fristlos entlassen. Die Betonung liegt auf Verdacht, denn ein Beweis liegt nicht vor. Die Mitarbeiterin bestreitet die Tat. Angeblich soll die Frau zwei Pfandbons im besagten Wert von 1,30 Euro an der Kasse einer Kollegin eingelöst haben.

Nun werden die Vorgänge an den Kassen bei Kaiser’s per Videokameras überwacht. Seltsamerweise erfolgte die Anschuldigung gegen die Kassiererin erst nach mehreren Tagen, als die Videoaufnahmen des Kassenbereichs bereits gelöscht waren.

Alles nur Zufall?

Der Tengelmann-Konzern ist kein Waisenkind, was die Beschneidung verfassungsmäßiger Rechte angeht. Das zeigt der Fall Kik in Österreich. Wie Kaiser’s gehört die Textilhandelskette Kik zum Tengelmann-Konzern.
Anfang des Jahres 2007 schreibt der Kik-Fillialleiter Andreas Fillei eine Betriebsratswahl aus und wird kurz danach vom Management des Tengelmann-Konzerns fristlos entlassen; außerdem erhält er Hausverbot für alle KiK-Filialen. Am 22. Februar wird das Hausverbot gegen Fillei durch eine einstweilige Verfügung des Arbeits- und Sozialgerichts Wien aufgehoben, zudem wird gerichtlich angeordnet, dass noch im März 2007 Betriebsratswahlen bei Kik-Tengelmann durchzuführen sind.

Das Konzernmanagement versucht, diese Anordnung zu unterlaufen, indem die Liste des gekündigten Andreas Fillei vom Wahlzettel gestrichen wird. Diese Streichung muss wieder zurückgenommen werden. Inzwischen erreichen Tausende von Protest-Mails die Zentrale von Kik-Tengelmann. Mitte Mai nimmt der Konzern die fristlose Kündigung von Andreas Fillei zurück und Ende Juni/ Anfang Juli 2007 wird erstmals ein Betriebsrat bei kik-Tengelmann in Österreich gewählt.
(Quellen: KURIER-Feburar 2007, orf.at-14.3.2007 und 2.07.2007)

Kaiserliche Rechtsauffassung


Die Konzernleitung von Kaisers-Tengelmann in Deutschland muss ihre Lektion in Sachen Rechtsstaat und Demokratie anscheinend noch lernen.
Deutschlands Arbeitsgesetze erleichtern diesen Lernprozess allerdings nicht unbedingt. Denn es gibt da den Paragraphen 626 II BGB der Verdachtskündigung, ein Relikt aus Kaiser Wilhelms Zeiten, der in wechselndem Gewande seinen Weg durchs “Dritte Reich” bis in unsere Republik gefunden hat.

Ein Arbeitgeber kann demnach einen Arbeitnehmer fristlos entlassen, wenn zum Beispiel der “begründete Verdacht” einer Straftat besteht. Beweisen muss der Arbeitgeber die Tat nicht, es muss nur ein begründeter Verdacht bestehen. Was als “begründet” zu verstehen ist, bleibt dem Urteil des jeweiligen Gerichts überlassen. Abwehren kann ein Beschuldigter eine solche Verdachtskündigung nur, wenn er seine Unschuld beweisen kann. Das widerspricht nicht nur eklatant internationalem Recht, sondern auch den Prinzipien der deutschen Verfassung, denn zu den Grundrechten gehört die “Unschuldsvermutung” eines Verdächtigten.

Wenn der Verdächtige “Glück” hat, findet er Richter, die ihren Ermessensspielraum im Sinne der Verfassung nutzen. So liess das hessische Landesarbeitsgericht (4/12 Sa 523/07) eine Verdachtskündigung daran scheitern, weil “der Arbeitgeber nicht alle ihm zumutbaren Aufklärungsmaßnahmen ergriffen habe”. Wer wie im Falle Kaisers-Tengelmann Videoaufnahmen von den fraglichen Kassenvorgängen verloren gehen lässt, hat wohl kaum “alle ihm zumutbaren Aufklärungsmaßnahmen ergriffen”.

Wie gesagt, wer als Verdächtiger “Glück hat”, trifft auf solche Richter wie bei diesem Urteil (4/12 Sa 532/07), wer allerdings Pech hat”, wie im Falle Kaiser’s gegen Barbara E., trifft auf Richter, die sogar in Seminaren auftreten, in denen Managern gelehrt wird, wie sie das Mittel der Verdachtskündigung “erfolgreich” einsetzen können.

So hält Richterin Daniele Reber, die am Berliner Arbeitsgericht gegen Barbara E. entschieden hat, nebenher Referate für Führungskräfte bei FORUM ab, einem “Institut für Management”. (PDF)

Das FORUM-Institut gehört zum Springer Science Business Media Konzern und “beschäftigt sich mit der beruflichen Weiterbildung von Führungskräften”. Für seine Seminare verlangt das FORUM-Institut auch schon mal um die 1.300 Euro. Pro Teilnehmer versteht sich. Unter anderem geht es in den FORUM-Seminaren, in denen auch die Arbeitsrichterin Vorträge hält, um “Taktische Erwägungen im Kündigungsschutzprozess” und “Nachschieben von Kündigungsgründen/Folgekündigungen”. Ein Spezialseminar der Richterin wird wie folgt angeboten: “In dem Seminar sollen die Prüfungsschritte für eine Sozialauswahl systematisch dargestellt und diskutiert werden, um zu einem angemessenen, einer gerichtlichen Überprüfung standhaltenden Auswahlergebnis zu gelangen.”
Readers Edition » Willkür wie zu Kaisers Zeiten

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Beeinflusst jetzt Bertelsmann/Springer auch schon (halböffentlich) den Rechtsstaat?
 
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