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Berlin - Nach Kanzlerin Angela Merkel (CDU) haben auch führende SPD-Politiker angesichts einer Kostenexplosion bei der Arbeitsmarktreform
Hartz IV für Korrekturen plädiert.
Mit Blick auf die stetig wachsende Zahl von Leistungsempfängern soll vor allem verhindert werden, dass diese besser dastehen als Bezieher niedriger Arbeitseinkommen. Der SPD-Fraktionsvorsitzende Peter Struck sagte der "Bild am Sonntag": "Wir wollen, dass nur diejenigen
Hartz IV bekommen, die auch wirklich bedürftig sind."
Nach einem Bericht der "Süddeutschen Zeitung" hat der Bundesrechnungshof den Arbeitsagenturen vorgeworfen, sie kontrollierten in mehr als der Hälfte der Fälle nicht ausreichend, ob Langzeitarbeitslose tatsächlich Anspruch auf staatliche Hilfen haben.
"Wer arbeitet, muss mehr haben als wenn er nicht arbeitet", sagte Merkel am Freitagabend bei einer CDU-Regionalkonferenz in Düsseldorf. "Wo das nicht mehr gewährleistet ist, da muss auch
Hartz IV geändert werden." Struck sagte, niemand habe die "explosionsartige Vermehrung" der Bedarfsgemeinschaften auf derzeit vier Millionen mit ihren finanziellen Folgen vorausgesehen. "Dabei müssen wir auch berücksichtigen, dass jeder Euro, der für
Hartz IV aufgewendet wird, zuvor von den Steuerzahlern erarbeitet werden muss."
Ähnlich äußerte sich Unions-Fraktionschef Volker Kauder (CDU). Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) sagte beim Juso-Bundeskongress in Saarbrücken, die Ausgaben seien in Milliardenhöhe explodiert.
Hartz IV stelle eine Art flächendeckender Mindestlohn dar. Die Zahl der Leistungsempfänger hat sich nach Angaben der kommunalen Spitzenverbände seit Anfang 2005 um 25 Prozent erhöht.
Der schleswig-holsteinische Arbeitsminister Uwe Döring (SPD) und Berlins Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) regten Änderungen bei den Regelungen für so genannte Aufstocker an, von denen es nach Schätzungen der Arbeitsverwaltung nahezu eine Million gibt. Aufstocker erhalten zusätzlich zu ihrem Arbeitsverdienst ergänzende Hilfen aus dem Arbeitslosengeld II.
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Hartz IV habe die staatliche Unterstützung auf ein Niveau gehoben, das in Berlin in manchen Fällen einem ordentlichen mittleren Einkommen entspricht", sagte Sarrazin dem "Spiegel". Döring sagte der "Berliner Zeitung": "In Deutschland entsteht damit ein flächendeckender, ungesteuerter Kombilohn, der bald nicht mehr finanzierbar ist."
Struck verwies auf den Brief führender Repräsentanten von drei Wohlfahrtsverbänden, den er "sehr ernst" nehme. Diese hatten in der vergangenen Woche für die Senkung passiver Leistungen plädiert, "um ein dauerhaft tragfähiges und finanzierbares Leistungssystem zu erhalten". Eine Senkung des Regelsatzes von monatlich 345 Euro sei damit aber nicht gemeint, hatten die Verbandsfunktionäre betont. Es gehe vielmehr darum, "das Leistungsrecht so zu schärfen, dass Anreize für Arbeit im Mittelpunkt stehen und die Leistungen auf die tatsächlich Bedürftigen konzentriert werden".
Kauder gab Struck in einer Presseerklärung Recht. "Diejenigen, die arbeiten, müssen mehr verdienen als diejenigen, die nicht arbeiten." Deshalb müsse man sich mit der Kostenexplosion bei
Hartz IV befassen.
Nach dem vertraulichen Prüfbericht des Bundesrechnungshofes für den Haushaltsausschuss des Bundestages haben die Sachbearbeiter bei Anträgen auf Arbeitslosengeld II die Vermögensverhältnisse in sieben von zehn Fällen "nicht oder nicht ausreichend geprüft", berichtet die "Süddeutsche Zeitung". In den meisten Fällen hätten sie weder Kontoauszüge angefordert noch sich bei Immobilien einen Auszug aus dem Grundbuch vorlegen lassen.
Bei Arbeitslosen, die sich krankmelden, werde häufig erst nach sechs Monaten nachgeforscht, ob diese tatsächlich nicht arbeiten können. Hinweisen, dass ein Langzeitarbeitsloser gegen Auflagen verstoße, seien die Vermittler in sechs von zehn Fällen nicht nachgegangen, hieß es.
Ein Sprecher der Bundesagentur (
BA) räumte qualitative Mängel bei Umsetzung von
Hartz IV ein. Der Rechnungshof beziehe sich in dem Bericht auf die Arbeitsgemeinschaften (Jobcenter) von Agenturen und Kommunen und die Optionskommunen, sagte der Sprecher der dpa.
Die
BA habe "vor Ort nur begrenzte Eingriffsmöglichkeiten". Das liege an der Entscheidung, die Zusammenarbeit zwischen Kommunen und Agenturen "auf Augenhöhe" zu organisieren. Der
BA-Vorstand habe auf dieses Führungsproblem frühzeitig hingewiesen. "Eine eindeutige Klärung der Verantwortung hat bis heute aber nur ein Teil der Kommunen angenommen."
© dpa - Meldung vom 21.05.2006 16:36 Uhr