Überprüfungsantrag für Aufhebungs- und Erstattungsbescheid aus dem Jahr 2008 abgelehnt

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ExitUser

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Ich habe beim JC nach § 44 SGB X einen Überprüfungsantrag für einen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid aus dem Jahr 2008 gestellt.

Als Begründung habe ich angeführt: Leistungsberechtigte nach SGB II müssen sich ihr Nebenkostenguthaben nicht als Einkommen anrechnen lassen, wenn das Guthaben durch Nebenkostenvorauszahlung erzielt worden ist, die aus der Regelleistung bestritten wurde (SG Chemnitz Az. S 14 AS 4157/12 v. 11.04.2013 Urteil).

Die Widerspruchsstelle teilt nun mit:

"Der Überprüfungsantrag ist ohne Sach- und Rechtsprüfung abzulehnen. Nach § 40 Absatz 1 Satz 2 SGB II in Verbindung mit § 44 Absatz 4 SGB X kann eine Rücknahme und Nachzahlung nur für einen Zeitraum von einem Jahr erfolgen. Dabei wird der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Überprüfungsantrag gestellt wird. Der auf Ihren Antrag zu überprüfende Zeitraum liegt außerhalb dieser Frist."

Ist diese Rechtsauffassung zutreffend? Findet sie auf meinen Fall überhaupt Anwendung?

Die Rückzahlungsforderung des JC wurde damals nicht mit der laufenden Leistung verrechnet, sondern ich zahle seit 2011 monatlich 10 Euro ab.
 
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ZynHH (R.i.P.)

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Ich denke mal, der Fehler liegt hier darin, das du dich auf einen Vorgang aus 2008 beziehst. Denn 12 Monate rückwirkend ist korrekt.

Gibt es einen Bewilligungsbescheid, der in den letzten 12 Monaten erstellt wurde?

Dann würde ich diesen per überprüfungsantrag anzweifeln. Da sich der Bescheid auf eine veraltete gesetzliche Grundlage stützt.

Es melden sich sicherlich noch andere.
 

Couchhartzer

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Sunny46

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AW: Überprüfungsantrag für Aufhebungs- und Erstattungsbescheid aus dem Jahr 2008 abgelehnt

Die Begründung der Widerspruchsstelle ist falsch.

Da werden „Äpfel“ und „Birnen“ vermischt.

1. Du hast Anspruch auf Prüfung der vollständigen Sach- und Rechtslage.

2. Die Rücknahme des Aufhebungs- und Erstattungsbescheides ist vier Kalenderjahre lang möglich.

3. § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II greift hier nicht, da es nicht um zu Unrecht nicht gezahlte Sozialleistungen geht, sondern um die Rückforderung (möglicherweise) zu Unrecht erstatteter Beträge nach § 50 Abs. 1 SGB X. Das kann man z. B. diesem Urteil entnehmen: BSG, 12.12.1996 - 11 RAr 31/96 - Bescheid; Ruckforderung; Sozialleistungen; Frist; Uberprufung


Ich würde klagen oder einen neuen Überprüfungsantrag stellen und auf deinen Anspruch der vollständigen Sach- und Rechtslage verweisen. Man möge dir mitteilen, ob die Ansicht des SG Chemnitz grundsätzlich geteilt wird. Vielleicht gibt es ja auch schon BSG -Rechtsprechung zu diesem Thema.

Erst danach kann man zu dem Ergebnis kommen, dass der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid nicht mehr rücknehmbar ist, weil die Vier-Jahres-Frist abgelaufen ist.

Wenn du aber immer noch abzahlst und das Jobcenter weiss, dass der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid dem Grunde nach rechtswidrig, nur eben nicht mehr nach den Regelungen des SGB II und SGB X rücknehmbar ist, dann hast du Anspruch darauf, deine Zahlungen einzustellen, da es ansonsten eine ungerechtfertigte Bereicherung und ggf. Betrug darstellt.

Nachtrag:

Da das zitierte BSG -Urteil vor Einführung des SGB II ergangen ist, ist auch nicht auszuschließen, dass für solche Fälle des § 40 Abs. 1 Satz 2 SGB II mit der Maßgabe entschieden werden könnte, dass ausschließlich § 44 Abs. 1 SGB X Anwendung findet.

In der Folge müsste das Jobcenter in diesen Fällen die rechtswidrigen Bescheide unbegrenzt korrigieren und die zu Unrecht geforderten Beträge nach § 50 Abs. 1 SGB X vollständig erstatten, ggf. begrenzt wegen § 40 Abs. 3 Satz 1 SGB II.
 
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ExitUser

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AW: Überprüfungsantrag für Aufhebungs- und Erstattungsbescheid aus dem Jahr 2008 abgelehnt

Ich habe noch folgende Information gefunden:

"Das BSG hat nun mit Urteil vom 13.02.2014 – B 4 AS 19/13 R entschieden, dass eine Anwendung des § 44 Abs 4 SGB X iVm § 40 Abs 1 S 2 SGB II bei Aufhebungs- und Erstattungsbescheiden ausscheidet."

Keine Jahresfrist bei Uberprufung von Aufhebungs- und Erstattungsbescheiden nach SS 44 SGB X, BSG v. 13.02.2014 - B 4 AS 19/13 R - Anwaltskanzlei Hexel & Driftmann
 
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ExitUser

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Die Bürgerbeauftragte für soziale Angelegenheiten des Landes Schleswig-Holstein hierzu:

„Nun hat das Bundessozialgericht (Az.: B 4 AS 19/13 R) entschieden, dass die Verfallfristen auf Rückforderungen nicht anwendbar sind; und zwar unabhängig davon, ob die Erstattungssumme bereits (zu Unrecht) gezahlt wurde oder nicht. Die Überprüfung bestandskräftiger Rückforderungsbescheide ist daher zeitlich unbeschränkt möglich. Auch wenn die Entscheidung des Bundessozialgerichts unmittelbar nur die Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II betrifft, ist diese Rechtsprechung auch auf die anderen Bereiche des Sozialrechts (z.B. Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII oder Krankengeld nach dem SGB V) entsprechend anwendbar.

Soweit Überprüfungsanträge gegen Rückforderungsbescheide im Einzelfall weiterhin unter Hinweis auf eine Verfristung abgelehnt werden, stellt sich diese Entscheidung als rechtswidrig dar.“

https://www.landtag.ltsh.de/export/...-Themen/urteile/U-Ueberpruefungsauftraege.pdf
 

Sunny46

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Sehr gut! Das ist genau die Entscheidung, die mir noch nicht bekannt war und die die Rechtsprechung zu 11 RAr 31/96 fortführt.

Danach gelten also auch die Vier-Jahres-Frist für die Rücknahme eines Bescheides und sowieso die Ein-Jahres-Frist für eine Nachleistung in diesem Fall generell nicht.

Auch muss ich meine Auffassung in einem früheren Thread korrigieren, dass evtl. § 45 SGB I (Verjährung) Anwendung hätte finden können. Es handelt sich bei diesen Rückforderungsbeträgen nämlich nicht um eine Sozialleistung!

Dann kannst du ja jetzt deine Zahlungen einstellen und Anfechtungs- und Verpflichtungsklage mit dem Anspruch der Rückzahlung der bisher geleisteten Geldbeträge erheben.

Die Aussichten sind gut. Im ungünstigsten Fall wirst du nur eine teilweise Rückzahlung erreichen.

Finde mal noch heraus, ob es BSG -Rechtsprechung zu deinem materiellen Sachverhalt gibt.
 
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ExitUser

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AW: Überprüfungsantrag für Aufhebungs- und Erstattungsbescheid aus dem Jahr 2008 abgelehnt

Hier gibt es drei weitere Urteile von Sozialgerichten in gleichem Tenor:

SG Kiel Urteil vom 07.02.2012 – S 38 AS 218/10
SG Potsdam Urteil vom 14.06.2013 – S 42 AS 1322/10
SG Berlin Urteil vom 19.10.2015 – S 27 AS 2022/14

Betriebskostenguthaben die Auszahlungen stammen die aus der Regelleistung gezahlt wurden sind nicht anzurechnen | Rechtsanwalt in Kiel

Was passiert eigentlich mit Betriebskostenguthaben eines SGB II Empfangers wenn dieser einen Teil der Mietkosten aus dem eigenen Regelsatz bezahlt hat? | Rechtsanwalt in Kiel
 

Helga40

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Die Bürgerbeauftragte für soziale Angelegenheiten des Landes Schleswig-Holstein hierzu:

„Nun hat das Bundessozialgericht (Az.: B 4 AS 19/13 R) entschieden, dass die Verfallfristen auf Rückforderungen nicht anwendbar sind; und zwar unabhängig davon, ob die Erstattungssumme bereits (zu Unrecht) gezahlt wurde oder nicht. Die Überprüfung bestandskräftiger Rückforderungsbescheide ist daher zeitlich unbeschränkt möglich. Auch wenn die Entscheidung des Bundessozialgerichts unmittelbar nur die Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II betrifft, ist diese Rechtsprechung auch auf die anderen Bereiche des Sozialrechts (z.B. Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII oder Krankengeld nach dem SGB V) entsprechend anwendbar.

Soweit Überprüfungsanträge gegen Rückforderungsbescheide im Einzelfall weiterhin unter Hinweis auf eine Verfristung abgelehnt werden, stellt sich diese Entscheidung als rechtswidrig dar.“

https://www.landtag.ltsh.de/export/...-Themen/urteile/U-Ueberpruefungsauftraege.pdf


Und genau deswegen hat der Gesetzgeber jetzt mit § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II die 4 Jahresfrist für Überprüfungsanträge für Aufhebungs- und Erstattungsbescheide eingeführt. 2008 war ja nur vor weit mehr als 4 Jahren....

Außerdem hat das BSG zur alten Rechtslage zu Betriebskostenguthaben völlig anders entschieden, nämlich, dass Guthaben voll anzurechnen ist, egal, wovon es gezahlt wurde. Jedoch nicht auf die angemessenen KdUH, sondern auf die tatsächlichen.
 

Sunny46

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Da hat Helga (leider) recht!

Das BSG -Urteil 13.02.2014 bezieht sich auf die vor dem 01.08.2016 geltende Fassung des § 40 Abs. 1 Satz 2 SGB II.

Insofern bleibt weitere diesbezügliche BSG -Rechtsprechung abzuwarten. Dann ist natürlich wegen § 40 Abs. 3 Satz 1 SGB II die Vier-Jahres-Frist abgelaufen und es bliebe dann nur noch § 44 SGB II übrig.

Daran kann man aber ganz gut erkennen, dass man nicht wenigstens im Falle einer zu Unrecht erhobenen Forderung diese auch zurückerhalten soll. Das kann m.E. aber nicht verfassungsgemäß sein!
 

Makale

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Ich würde auch meinen einen Erlassantrag nach § 44 SGB II zu stellen mit der Begründung dass der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid mutmaßlich rechtswidrig erlassen wurde, aber nicht mehr zurückgenommen werden kann. Das ist ein Unding, dass Betriebskostenguthaben aus Eigenmitteln leistungsmindernd berücksichtigt werden. Mag zwar sein, dass dies dem eine Entscheidung des BSG entgegensteht, aber hat nichts zu heißen. Im letzten Jahr hatten zB massig Sozial- und Landessozialgerichte dem BSG betreffend Sozialleistungen im Ermessenswege die Gefolgschaft verweigert (m.E. zu Recht).

Ich empfehle es auf jeden Fall zu versuchen.
 
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ExitUser

Gast
So wie es aussieht, ist (momentan) gegen die Aufhebungs- und Erstattungsbescheide mittels Überprüfungsantrag nichts zu machen.

Deshalb alternativ: Zahlung einstellen und - wenn die Gegenseite ihre Forderung eintreiben will - gegen den weiteren Vollzug der rechtswidrigen Bescheide klagen.
 
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