Rechtsfolgenbelehrung einer EGV gilt nicht automatisch für VVs Am 11.2.2014 schlossen die Beteiligten eine Eingliederungsvereinbarung mit Gültigkeit bis zum 10.8.2014 ab. Darin war vorgesehen, dass der Beklagte dem Kläger Vermittlungsvorschläge unterbreitet, soweit geeignete Stellenangebote vorlägen. Er verpflichtete sich zur Unterstützung von Bewerbungsbemühungen in Form von Übernahme von Bewerbungskosten und
Fahrtkosten zu Vorstellungsgesprächen. Der Kläger verpflichtete sich zur Vorlage von Nachweisen über Bewerbungsbemühungen in einem festgelegten Turnus von 2 Monaten. Ferner verpflichtete er sich, sich auf Vermittlungsvorschläge zeitnah zu bewerben und festgelegte Nachweise vorzulegen. Die Eingliederungsvereinbarung enthält eine Rechtsfolgenbelehrung.
[…]
Eine Pflichtverletzung nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
SGB II setzt eine Rechtsfolgenbelehrung oder eine entsprechende positive Kenntnis beim Leistungsberechtigten voraus. Der Rechtsfolgenbelehrung kommt eine Warnfunktion zu, sie soll dem Leistungsberechtigten in verständlicher Form erläutern, welche unmittelbaren und konkreten Auswirkungen eine Pflichtverletzung auf seinen Leistungsanspruch haben werde (vgl. BT-Drucks. 15/1516, S. 61). Das Bundessozialgericht (
BSG ) hat im Hinblick auf die Sperrzeittatbestände des
SGB III entschieden, dass die Rechtsfolgenbelehrung konkret, richtig, vollständig und verständlich sein muss und zeitnah im Zusammenhang mit einem Arbeitsangebot ergehen muss (
BSG v. 10.12.1981 – 7 Rar 24/81 – BSGE 53, 13, 15 = SozR 4100 § 119 Nr. 18). In Fortführung dieser Rechtsprechung haben die für das Recht der
Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senate des
BSG betont, dass der Warnfunktion der Rechtsfolgenbelehrung im Bereich des
SGB II eine noch größere Bedeutung zukomme als im Bereich der Arbeitsförderung. Der soziale Schutzzweck, aus dem das
BSG die Anforderungen an die Rechtsfolgenbelehrung herleitet, spielt bei existenzsichernden Sozialleistungen, wie denen der
Grundsicherung für Arbeitsuchende, typischerweise eine noch größer Rolle als bei den klassischen Leistungen des Arbeitsförderungsrechts. Dies ist auch aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (
BVerfG ) vom 9.2.2010 (1 BvL 1/09, 3/09, 4/09 - BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr. 12) abzuleiten (vgl. nur
BSG v. 16.12.2008 – B 4 AS 60/07 R – BSGE 102, 201 = SozR 4-4200 § 16 Nr. 4, juris Rn. 36;
BSG v. 18.2.2010 – B 14 AS 53/08 R – BSGE 105, 297 = SozR 4-4-200 § 31 Nr. 5, juris Rn. 20;
BSG v. 15.12.2010 – B 14 AS 92/09 R – juris Rn. 24). Die verfassungsrechtliche Bedeutung der Rechtsfolgenbelehrung hat das
BVerfG wiederholt betont (vgl.
BVerfG v. 6.5.2016 – 1 BvL 7/15 – juris). Im Hinblick auf diese Funktion und Bedeutung der Rechtsfolgenbelehrung muss sie die Anforderungen insbesondere einzelfallbezogen erfüllen.
Die dem Vermittlungsvorschlag vom 21.3.2014 angefügte Rechtsfolgenbelehrung wird dieser Warnfunktion nicht gerecht. Worüber zu belehren ist, ergibt sich aus § 31a
SGB II. Zwar ist die Rechtsfolgenbelehrung inhaltlich noch an den Anforderungen des
BSG aus-gerichtet. So zeigt sie dem Kläger einzelfallbezogen konkret auf, dass unter Nennung der ersten Pflichtverletzung vom 24.2.2014 eine weitere Pflichtverletzung zu einer Kürzung um 60 Prozent führen werde (§ 31a Abs. 1 Satz 2
SGB II). Sie ist vollständig, weil sie auf die ergänzenden Sachleistungen ebenso hinweist wie auf die regelmäßige Direktüberweisung der Miete an den Vermieter (§ 31a Abs. 3 Satz 1, 3
SGB II). Allerdings ist sie formal nicht ausreichend verständlich. Diese Anforderung umfasst nach dem Sinn der Rechtsfolgenbelehrung, den Leistungsberechtigten die Rechtsfolgen warnend vor Augen zu führen, nicht nur inhaltliche Aspekte, sondern auch formale. Der Leistungsträger hat bei der Ausübung seiner gesetzlichen Aufgaben auf den Kreis der Leistungsbezieher abzustellen und muss hierbei berücksichtigen, dass diese in Verwaltungsangelegenheiten keine ihm gegenüber vergleichbare Übung besitzen. Dies gilt insbesondere für Leistungsbezieher wie den Kläger, dem es an einer Berufsausbildung und Berufstätigkeit fehlt. Daher muss der Leistungsträger dafür Sorge tragen, dass Warnhinweise, die er zu erteilen hat, von einem Leistungsberechtigten üblicherweise auch wahrgenommen werden. Dem ist der Beklagte nicht nachgekommen. Durch die deutlich kleinere Schrift ist bereits das Lesen der Rechts-folgenbelehrung erheblich erschwert, so verschwimmen auf den ersten Blick die einzelnen Zeilen. Ohne Absätze ist die inhaltliche Strukturierung für den Lesenden und die Realisierung des Inhaltes zudem deutlich erschwert. Insgesamt führt die formale Ausgestaltung der Rechtsfolgenbelehrung eher dazu, sie unbeachtet zu lassen anstatt die darin enthaltenen Warnungen zu lesen und zur Kenntnis zu nehmen.
Die ungenügende Rechtsfolgenbelehrung wird nicht durch eine positive Rechtsfolgenkenntnis des Klägers obsolet. Zwar erhielt die Eingliederungsvereinbarung vom 11.2.2014 ebenfalls eine Rechtsfolgenbelehrung. Allerdings bezieht sich diese nach ihrem Wortlaut ausdrücklich nur auf Folgen bei Verstößen gegen die Eingliederungsvereinbarung, somit kann sie keine positive Kenntnis bezogen auf Verstöße gegen Vermittlungsvorschläge vermitteln.
Sozialgericht München, S 13 AS 2433/14,10.08.2016, rechtskräftig
https://sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/esgb/show.php?modul=esgb&id=187572 Eigene RFB bei jedem VV für Sanktion zwingend nötig SG Gießen Az. S 29 AS 676/11 v. 14.01.2013 Urteil
Tenor
1. Die Festsetzung von Sanktionen nach § 31 Abs. 1
SGB II setzt voraus, dass ein Hilfebedürftiger
über die Rechtsfolgen einer Pflichtverletzung konkret, verständlich, richtig und vollständig belehrt wurde.
2. Soweit das Gericht durch die Behörde nicht in die Lage versetzt wird, die Ordnungsgemäßheit der Rechtsfolgenbelehrung zu prüfen,
geht dies zu Lasten der insoweit beweispflichtigen Behörde. Ihr obliegt es, durch ordnungsgemäße Aktenführung
bzw. durch Organisation ihrer Dokumentenverwaltung ihren Nachweiserfordernissen nachzukommen.
25 Der Beklagte war nicht in der Lage, dem Gericht den Wortlaut der Rechtsfolgenbelehrung zur Prüfung der Ordnungsmäßigkeit vorzulegen. Zur Überzeugung der Kammer ist es nicht ausreichend, Indizien für einen bestimmten Wortlaut aufzuzeigen, wie es der Beklagte vorliegend mit der Bezugnahme auf eine weitere Rechtsfolgenbelehrung vom gleichen Tage getan hat. Eine Augenscheinnahme durch das Gericht kann hierdurch nicht ersetzt werden. Auch der Kläger war auf Nachfrage des Gerichts nicht dazu in der Lage, das Original der Rechtsfolgenbelehrung vorzulegen.
https://openjur.de/u/599889.html