Zu den Anforderungen an die Wohnungssuche; Zu Richtwerten der Jobcenter und Eilverfahren
SG Hamburg, Az: S 55 AS 1231/06
ER , B. v. 17.07.2006
Verfasst am: 22.07.2006, 18:53
Die Antragstellerin hat im Eilverfahren die Übernahme der tatsächlichen, also vollen Kosten ihrer Unterkunft durchsetzen können. Sie hatte hinreichend nach Wohnraum gesucht, diese Suche hinreichend belegen können und dennoch keine Wohnung gefunden, insbesondere sei auch in Wilhelmsburg und Veddel gesucht worden.
Es beständen bei der im Eilverfahren allein möglichen überschlägigen Prüfung keine Anhalts-punkte dafür, dass mit den von der Antragsgegnerin bestimmten Richtwerten angesichts der Lage auf dem maßgeblichen örtlichen Wohnungsmarkt und dem Wohnstandard, der Hilfebedürftigen zuzubilligen ist, keine sachgerechte Bestimmung getroffen worden ist.
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin vorläufig ab dem 01. Juli 2006 Leistungen für die Unterkunft im Wohnhaus „....“ in Hamburg in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen so lange weiterhin zu erbringen, bis die Antragstellerin die Aufwendungen für Unterkunft gesenkt hat, längstens jedoch bis zum 30. September 2006.
Die Antragsgegnerin hat die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin zu tragen.
Gründe
Die Antragstellerin, die gegenwärtig eine 66,45 qm große Wohnung im Wohnhaus „XXXX“ in Hamburg - Barmbek bewohnt, begehrt Leistungen für Unterkunft in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen von 469,43 € monatlich (Grundmiete zzgl. Betriebskosten). Der Antragstellerin waren mit Bescheid vom 20. Februar 2006 für den Zeitraum 01. März 2006 bis 30. Juni 2006 im Rahmen der Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) Leistungen für Unterkunft in dieser Höhe bewilligt worden. Mit Schreiben vom gleichen Tag wurde die Antragstellerin aufgefordert, bis zum 30. Juni 2006 nach Möglichkeiten zur Verringerung der monatlichen Mietkosten zu suchen, da die gegenwärtigen Kosten der Unterkunft den hilferechtlich angemessenen Betrag für die Bruttokaltmiete in Höhe von 318,- € übersteigen. Dabei wurde die Antragstellerin darauf hingewiesen, dass ab dem 01. Juli 2006 bei den Leistungen nach dem SGB II nur noch die angemessenen Unterkunftskosten in Höhe von 318,- € berücksichtigt werden könnten. Mit Bescheid vom 13. Juni 2006 wurden der Antragstellerin für den Zeitraum vom 01. Juli 2006 bis zum 31. Dezember 2006 lediglich Kosten für Unterkunft in Höhe einer Bruttokaltmiete von 318,- € bewilligt.
Der Antrag hat Erfolg, da er zulässig und begründet ist.
Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes setzt in diesem Zusammen-hang einen Anordnungsanspruch, also einen materiell-rechtlichen Anspruch auf die Leistung, zu dem die Antragsgegnerin im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet werden soll, sowie einen Anordnungsgrund, nämlich einen Sachverhalt, der die Eilbedürftigkeit der Anordnung begründet, voraus. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind glaubhaft zu machen (§ 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) i.V.m. § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG).
Vorliegend hat die Antragstellerin einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Die Aufwendungen für die derzeitige Unterkunft der Antragstellerin übersteigen zwar den angemes-senen Umfang (1.), sie sind aber derzeit wie tenoriert zu berücksichtigen, da eine Möglichkeit zur Senkung der Kosten für die Antragstellerin bislang nicht bestanden hat (2.).
1.
Gemäß § 22 Abs. 1 SGB II sind die tatsächlichen Kosten der Unterkunft auf Dauer nur zu über-nehmen, soweit sie angemessen sind. Die Aufwendungen in Höhe von 469,43 € monatlich für die derzeitige Unterkunft der Antragstellerin übersteigen den angemessenen Umfang i. S. § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II. Denn der Richtwert für die Bruttokaltmiete bei einem Haushalt mit einer Person beträgt 318,- € monatlich gemäß er von der Freien und Hansestadt Hamburg als kommunalem Träger erlassenen „Fachlichen Vorgabe zu § 22 SGB II – Angemessenheit der Kosten der Unter-kunft vom 04. Juli 2006 (Az.: SI 212/110.47 – 1/29).
Der Begriff der Angemessenheit in § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II unterliegt als unbestimmter Rechtsbegriff, der bislang nicht durch den Verordnungsgeber gemäß § 27 SGB II konkretisiert worden ist, der sozialgerichtlichen Kontrolle. Die Antragsgegnerin hat sich bei der Prüfung der Frage, ob die Kosten für die Wohnung der Antragstellerin angemessen sind, zu Recht auf die „Fachliche Vorgabe“ gestützt. Denn es bestehen bei der im Eilverfahren allein möglichen überschlägigen Prüfung keine Anhaltspunkte dafür, dass mit den von der Antragsgegnerin bestimmten Richtwerten angesichts der Lage auf dem maßgeblichen örtlichen Wohnungsmarkt und dem Wohnstandard, der Hilfebedürftigen zuzubilligen ist, keine sachgerechte Bestimmung getroffen worden ist (vgl. bereits Sozialgericht Hamburg, Beschluss vom 9.6.2005, Az.: S 52 AS 497/05
ER ; Beschluss vom 7.7.2005, Az.: S 51 AS 632/05
ER ; Beschluss vom 3.8.2005, S 52 AS 767/05
ER ; Beschluss vom 8.9.2005, S 62 AS 973/05
ER ; Beschluss vom 5.5.2006, Az.: S 62 AS 846/06
ER ).
Mit zahlreichen potentiellen Vermietern wie Wohnungsgesellschaften (SAGA / GWG) und Wohnungsbaugenossenschaften in Verbindung gesetzt und sich um eine Wohnung mit einem günstigeren Mietzins beworben. Ferner hat sich die Antragstellerin Anfang März in die Bewerber-datei der SAGA / GWG sowie in die Bewerberlisten von zwei Wohnungsbaugenossenschaften aufnehmen lassen. Gemäß ihrer Aufstellung hat sich die Antragstellerin vom 27. Februar 2006 bis zum 02. Juli 2006 insgesamt um ca. 95 Wohnungsangebote bemüht, indem sie zu dem jeweiligen Vermieter Kontakt aufgenommen und nahezu 60 der Wohnungen besichtigt hat, sofern sie hierzu von dem Vermieter eingeladen worden ist. In allen Fällen hat die Antragstellerin von den Vermietern kein Angebot zum Abschluss eines Mietvertrags erhalten. Sofern ein Grund für das Nichtzustandekommen eines Mietvertrags bekannt ist – wie zum Beispiel eine bereits anderweitig erfolgte Vermietung der Wohnung, hat die Antragstellerin diesen in ihrer Aufstellung angegeben. Zwar hat die Antragstellerin insoweit keine Bescheinigungen der jeweiligen potentiellen Vermieter vorgelegt. Jedoch hat die Antragstellerin in ihrer Dokumentation die Vermieter jeweils unter Angabe der Telefonnummer des Ansprechpartners benannt und die jeweiligen Wohnungen mit Mietpreis / Größe spezifiziert, so dass an der Glaubhaftigkeit der Angaben der Antragstellerin im vorliegenden Eilverfahren keine Zweifel bestehen. Die Antragstellerin hat ferner mitgeteilt, sich im gesamten Stadtgebiet Hamburgs und damit auch in Stadtteilen mit vermehrt günstigem Wohn-raum wie Veddel und Wilhelmsburg um Wohnungsangebote bemüht zu haben. Dass die Antragstellerin nicht bereits in ihrer Aufstellung angegeben hat, in welchem Stadtteil sich die jeweilige Wohnung befindet, ist maßgeblich auf die Ausgestaltung des Vordrucks der Antragsgegnerin zurückzuführen. Dieser fordert lediglich die Nennung des Mietpreises und der Größe der Wohnung.
Die Bemühungen der Antragstellerin um die Senkung ihrer Mietkosten entspricht auch der „Fachlichen Vorgabe zu § 22 SGB II“, Ziffer 4.7. Danach ist es für den Nachweis ausreichender Bemühungen um die Senkung der Mietkosten in der Regel ausreichend, wenn wöchentlich mindestens drei anerkennungsfähige Dokumentationen vorgelegt werden. Aufgrund der umfang-reichen Bemühungen der Antragstellerin ist dabei unerheblich, dass einige der Wohnungsange-bote, um die sich Antragstellerin beworben hat, über der Angemessenheitsgrenze gemäß der „Fachlichen Vorgabe“ der Antragsgegnerin von 318,- € Bruttokaltmiete lagen. Im Übrigen hatten auch diese Wohnungen einen günstigeren Mietpreis als die gegenwärtige Wohnung der Antrag-stellerin und lagen zum Teil nur geringfügig über der Angemessenheitsgrenze, so dass ihre Anmietung jedenfalls zu einer Senkung der Mietkosten geführt hätte. Schließlich hat die Antrags-gegnerin, der die Antragstellerin die Nachweise über ihre Bemühungen zur Kostensenkung bereits am 02. Mai 2006 und am 02. Juni 2006 vorgelegt wurden, auch nicht beanstandet, dass einige der Wohnungen über der Angemessenheitsgrenze lagen.
Weiter hat die Antragstellerin auch glaubhaft gemacht, dass die Senkung der Unterkunftskosten durch eine teilweise Untervermietung ihrer gegenwärtigen Wohnung nicht in Betracht kommt. Denn bei einem der beiden Zimmer ihrer Wohnung handelt es sich um ein Durchgangszimmer, so dass der Zuschnitt der Wohnung eine Untervermietung nicht zulässt.
Die Leistungen für Unterkunft in Höhe der tatsächlichen gegenwärtigen Aufwendungen sind im Rahmen dieses Eilverfahrens längstens bis zum 30. September 2006 zu erbringen. Denn bei einer weiterhin intensiven Suche der Antragstellerin nach angemessenem Wohnraum ist die Möglichkeit der Senkung der Mietkosten bis zu diesem Zeitpunkt durchaus wahrscheinlich.
II.
Die Antragstellerin hat auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Denn die Antragstellerin kann ihren monatlichen Bedarf bei einer derzeitigen Bruttokaltmiete von 469,43 € gegenwärtig nicht vollständig decken und es kann ihr nicht zugemutet werden, die Entscheidung in einem etwaigen Hauptsacheverfahren abzuwarten.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Rechtsmittelbelehrung
Gegen diesen Beschluss ist die Beschwerde zulässig.
Das Gericht hat den Beschluss für 3 Monate ausgesprochen. Das ist womöglich kein Zufall. Zu diesem Zeitpunkt wird, falls die Jobcenter nicht vorher schon über den
Widerspruch entschieden hat, eine Untätigkeitsklage möglich sein. Dann kann man das zum Anlass nehmen, neben einem weiteren
Eilantrag auch gleich die Untätigkeitsklage einzureichen. Es wäre gut, wenn dann in diesem Klageverfahren Anhaltspunkte dafür dargelegt werden, dass die Werte der Jobcenter nicht den Realitäten entsprechen.
Dann wäre darüber Beweis zu erheben, zum Beispiel durch ein Sachverständigengutachten.
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Die von mir wiedergegebenen Ansichten beinhalten meine Rechtsauffassung. Diese ist für die Gerichte selbstverständlich nicht verbindlich. Sie können aber bei der Führung eines Rechtsstreits als Argumente dienen.
Heide Flügge / Juristin