Radiobeitrag im DLF heute abend: Sozialforscher Stefan Sell über die Corona-Krise – „Viele werden abgehängt“

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kopiert aus der heutigen Programmvorschau des DLF (Deutschlandfunk Kultur 29.08.2020)
https://www.deutschlandfunkkultur.de/programmvorschau.282.de.html
(aktuelisiert sich selbst)
Sozialforscher Stefan Sell über die Corona-Krise – „Viele werden abgehängt“

Stefan Sell, Direktor des Instituts für Sozialpolitik und Arbeitsmarktforschung der Hochschule Koblenz, Professor für Volkswirtschaftslehre und Sozialpolitik,
stellt sich den Fragen von Gerhard Schröder

Durch die Coronakrise wird sich die Spaltung des deutschen Arbeitsmarktes verfestigen. Während sich die Lage in der Industrie stabilisiere, seien vor allem Soloselbständige und geringqualifizierte im Dienstleistungsbereich von Arbeitslosigkeit bedroht, warnt Sell. Dort sei auch der Rückgang der Ausbildungsplätze alarmierend. Das gefährde die Zukunft vieler Jugendlicher.

Sendetermin: 29.08.2020 17:30 Uhr
Sendung "Tacheles", Dauer 30min
Zum Nachhören dann wohl hier:
https://www.deutschlandfunkkultur.de/tacheles.989.de.html

(Der genannte Gerhard Schröder ist nicht der ehemalige Bundeskanzler, sondern der Journalist)
 
Zum Direktlink (ausführlicher Textbeitrag und Sendung zum Nachhören)

Die Coronakrise hinterlässt tiefe Spuren auf dem Arbeitsmarkt. Betroffen sind vor allem Soloselbstständige und Geringqualifizierte im Dienstleistungssektor. Auch Ausbildungsplätze werden gestrichen. Viele Jugendliche könnten den Anschluss verlieren.

Seit dem Beginn der Coronakrise ist die Arbeitslosigkeit stark gestiegen, über 600.000 Jobs sind verloren gegangen. Zwar hat sich die Lage inzwischen etwas beruhigt, vor allem die Industrie hat sich dank staatlicher Überbrückungshilfen und Kurzarbeitergeld stabilisiert. Doch für eine Entwarnung sei es zu früh, warnt der Sozialforscher Stefan Sell. Vor allem kleine Firmen und Soloselbstständige hätten wenig Reserven und könnten Einnahmeausfälle nicht lange kompensieren. Vielen Firmen drohe die Insolvenz. „Dort verfestigen sich jetzt die Beschäftigungsprobleme.“

Sorge bereitet dem Sozialwissenschaftler auch, dass sich durch die Coronakrise die Berufsperspektiven vieler Jugendlicher verschlechterten, weil Betriebe Ausbildungsplätze gestrichen hätten. Im Einzelhandel, bei Hotels und Gaststätten seien die Rückgänge dramatisch. Jugendliche, die jetzt ihren Job verlören oder keinen Ausbildungsplatz bekämen, würden schnell den Anschluss verpassen. „Die werden dann abgehängt“, warnt Sell.

Er begrüßt, dass die Bundesregierung den Zugang zu Hartz-IV-Leistungen erleichtert habe, um den finanziellen Absturz vor allem von Soloselbstständigen abzufedern. So wird inzwischen keine Vermögensprüfung mehr vorgenommen. Sell spricht sich auch dafür aus, den Hartz-IV-Satz um 100 Euro zu erhöhen.

Eine vollständige Umstellung der sozialen Absicherung lehnt er dagegen ab. Ein bedingungsloses Grundeinkommen, wie es jetzt in Deutschland in einem dreijährigen Modellversuch erprobt werden soll, sei zwar für die Bezieher eine schöne Sache. Die Umstellung sei aber kompliziert, würde Jahrzehnte dauern und koste viel Geld. Und viele Fragen seien ungeklärt. Sollten andere Leistungen dann im Gegenzug gestrichen werden? Dann „wäre das ein gigantisches Verarmungsprogramm“, warnt Sell. Sinnvoll sei dagegen, die sozialen Sicherungssysteme, etwa die Rentenversicherung, durch zusätzliche Steuergelder zu stabilisieren und dadurch drohende Altersarmut zu bekämpfen.
 
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