§ 16 Kapitel 3. Leistungen. Abschnitt 1. Leistungen zur Eingliederung in Arbeit. 200
4 Arbeitsgelegenheiten (Abs. 3)
4.1 Übersicht
17 Bereits das über Abs. 1 Satz 1 geltende Instrumentarium des
SGB III bietet zahl¬reiche Möglichkeiten, Hilfebedürftigen zu einer Erwerbstätigkeit zu verhelfen (s. Anhang zu § 16). Grundsätzlich geschieht dies aber auf regulären Arbeitsplätzen, die nicht speziell für Hilfebedürftige geschaffen worden sind. Ausnahmen bilden nur die ABM (Anhang zu § 16 Rz 47 ff.) und die Beschäftigung schaffende Infrastruk¬turförderung (Anhang § 16 Rz51f.) bezüglich der Arbeitsplätze, die über das
SGB II gefördert werden (denn auch „gemischte Maßnahmen" mit einer Teilförde¬rung nach dem
SGB III und dem
SGB II sind denkbar). Allen nach dem
SGB III geförderten Beschäftigungen ist gemein, dass sie in der Arbeitsförderung versi¬cherungspflichtig sind (§§ 24 ff.
SGB III) mit der Folge, dass sie neue Ansprüche auf Alg begründen können.
18 Abs. 3 ergänzt die Förderungsmöglichkeiten zur Aufnahme von Arbeit nach Abs. 1 in zwei Richtungen: Es können versicherungspflichtige betriebliche Arbeitsplätze im Rahmen von Arbeitsverhältnissen speziell für Hilfebedürftige geschaffen werden (Satz 1), und „Arbeitsplätze" für gemeinnützige zusätzliche Arbeiten außerhalb von Arbeitsverhältnissen (Satz 2), die keine Versicherungspflicht auslösen und somit nicht zu neuen Ansprüchen auf Alg führen. Die Vorschrift lehnt sich vom Ansatz her an § 19 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 und 3
BSHG an. Weggefallen ist die „VertragsVari¬ante" bei den gemeinnützigen zusätzlichen Arbeiten (§ 19 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1
BSHG , dazu Krahmer in LPK-
BSHG § 19 Rz 7) und die Möglichkeit, vom Erfor¬dernis der Zusätzlichkeit abzusehen (§ 19 Abs. 2 Satz 2
BSHG ).
Wie nach dem BSHG haben die Arbeiten nach Abs. 3 nur Ersatzfunktion, umso mehr, als nun ABM und Infrastrukturmaßnahmen (Anhang zu § 16 Rz 47 ff., 51 f.) speziell für Hilfebedürftige möglich sind, was der Gesetzgeber in der Gesetzesbegründung (BT-Dr 15/1749 S. 32) zu Unrecht ausblendet, zumal ABM in Abs. 3 Satz 2 ausdrücklich erwähnt werden. Die Systematik der Förderungsmöglichkeiten nach Abs. 1 und 3 und damit die gesetzliche Prioritätensetzung erschließt sich aus § 1 Abs. 1 Satz 1: Je eher die Eingliederungsleistungen in der Lage sind, den Hilfebedürftigen wieder dauerhaft auf dem „ersten" Arbeitsmarkt einzugliedern, desto vorrangiger sind sie bei der Auswahl der Leistungen zu berücksichtigen (BVerwGE 67, 1, 4). Das ergibt folgende Reihenfolge:
■ Eingliederung in reguläre versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse des ersten Arbeitsmarktes (vorwiegend durch Leistungen nach Abs. 1 Satz 1 i.V.m. SGB III; z.B. Eingliederungs- und Einstellungszuschüsse, s. Anhang zu § 16 Rz 26 ff., 30 ff., Arbeitsgelegenheiten nach Abs. 3 Satz 1)
■ Eingliederung in durch öffentliche Fördermittel zusätzlich geschaffene versiche¬rungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse des zweiten Arbeitsmarktes (vorwie¬gend durch Leistungen nach Abs. 1 Satz 1 i.V.m. SGB III: ABM, Infrastrukur-maßnahmen, s. Anhang § 16 Rz 47 ff., 51 f.)
■ Verrichtung von Arbeiten außerhalb von Beschäftigungsverhältnissen im Sinne des Arbeitsrechts (Abs. 3 Satz 2).4.2 Arbeitsgelegenheiten in Arbeitsverhältnissen (Abs. 3 Satz 1)
19 Wie § 19 Abs. 1 Satz 1
BSHG (Krahmer in LPK-
BSHG § 19 Rz 2) hat Abs. 3 Satz 1 nicht nur einweisende Funktion für Satz 2, sondern regelt eine eigenständige Variante der Arbeitsgelegenheiten (BT-Dr 15/1749 S. 32). In Abgrenzung zu Abs. 3
Leistungen zur Eingliederung §16
Satz 2 - und auch zu ABM - handelt es sich um Beschäftigungsverhältnisse im Sinne des Arbeitsrechts zu nicht im öffentlichen Interesse liegenden und nicht zusätzlichen Arbeiten. Die Arbeiten können bei allen privaten oder öffentlichen Arbeitgebern (einschließlich der Leistungsträger nach dem
SGB II) organisiert wer¬den, zwischen den Leistungsträgern und Dritten entsteht dann ein öffentlich-rechtli¬ches Betreuungsverhältnis (s. Trenk-Hinterberger NDV 1984, 406 f.; Birk/Münder 1984, S. 29 ff.). Wie die Arbeitsgelegenheiten „geschaffen" werden, gibt das Gesetz nicht vor; im Gegensatz zu § 19 Abs. 1 Satz 2 und 3
BSHG ist ausdrücklich weder ein Kostenersatz vorgesehen noch werden Grenzen für die Dauer oder Anforderun¬gen an die Qualität aufgestellt, was der vom Gesetzgeber mit den „Hartz-Gesetzen" generell verfolgten Strategie der Deregulierung entspricht. Damit stellen sich die Arbeitsgelegenheiten nach Abs. 3 Satz 1 vom Ansatz her als „Universal-Arbeitsför-derungsmittel" dar, deren Inhalt, Dauer und Förderweise allein durch die allgemei¬nen Ziele des
SGB II (§§ 1, 2), das Wettbewerbsrecht und die Stellung im Gesamt¬system der Eingliederungsleistungen (Rz 18) begrenzt ist. Wettbewerbsrecht und systematische Stellung haben jedoch besondere Bedeutung, dürfen die Arbeitsgele¬genheiten doch weder dazu führen, dass reguläre Arbeitsplätze abgebaut werden noch dazu, dass die sonstigen - und im Vergleich zum
BSHG umfassenden - Ein¬gliederungsleistungen nach Voraussetzungen und Umfang umgangen werden. Wo die praktische Bedeutung des Abs. 3 Satz 1 liegen soll, ist angesichts dessen nicht zu sehen. Gleichwohl: Die Schaffung der Arbeitsgelegenheiten ist - immer vorausge¬setzt, dass keine der genannten Grenzen entgegen steht - vom Gesetz als Regelfall vorgesehen („sollen"), wenn ein entsprechender Personenkreis vorhanden ist. Ein Anspruch darauf besteht jedoch nicht (OVG SL NDV-RD 1999, 14). Weil das Arbeitsrecht in vollem Umfang Anwendung findet (s. auch
BVerwG NDV 20 1990, 252), kann z.B. eine Probezeit mit verkürzter Kündigungsfrist (§ 622 Abs. 3 BGB) oder eine Befristung vereinbart werden; kalendermäßige Befristungen sind nach § 14 Abs. 2 Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG; vom 21. Dezember 2000, BGBl. IS. 1966) bis zu einer Dauer von zwei Jahren ohne sachlichen Grund zulässig (und zwar sowohl die erstmalige Befristung als auch die bis zu dreimalige Verlänge¬rung eines befristeten Arbeitsvertrags). Als sachlicher Grund gilt es darüber hinaus, wenn der Arbeitnehmer aus Haushaltsmitteln vergütet wird, die haushaltsrechtlich für eine befristete Beschäftigung bestimmt sind und er entsprechend beschäftigt wird (§ 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 TzBfG). Ob Tarifverträge unmittelbar anwendbar sind, ergibt sich aus ihnen selbst.
4.3 Im öffentlichen Interesse liegende zusätzliche Arbeiten (Abs. 3 Satz 2) 4.3.1 Voraussetzungen und Umfang; Abgrenzung zur ABM
Die Voraussetzungen für die Arbeitsgelegenheiten nach Abs. 3 Satz 2 sind mit 21 denen nach § 260 Abs. 1 Nr. 2
SGB III für ABM sowohl vom Wortlaut her als auch inhaltlich identisch, nachdem an Stelle von „gemeinnützigen" wie in § 19 Abs. 2 Satz 1
BSHG nun von „im öffentlichen Interesse liegenden" Arbeiten die Rede ist. Dem entsprechend kann zur Auslegung grundsätzlich auf die Ausführungen zur ABM Bezug genommen werden (Anhang zu § 16 Rz 48). Beispiele aus der umfang¬reichen Rspr und Literatur zum
BSHG betreffend das häufig streitige Kriterium der Zusätzlichkeit: Nicht zusätzlich sind bei öffentlichen Trägern Arbeiten, die zur Einsparung normaler Arbeitskräfte dienen bzw. wegen haushaltsbedingten Personal¬mangels nicht im notwendigen Umfang durchgeführt werden, obwohl sie eigentlich zu den Aufgaben des Trägers gehören (OVG NW ZfSH/
SGB 1991, 521; s. aber auch
Niewald in LPK-
SGB II
§ 16 Kapitel 3. Leistungen. Abschnitt 1. Leistungen zur Eingliederung in Arbeit. 204
27 Dafür, dass er die Arbeiten nach Abs. 3 Satz 2 verrichtet, hat der Hilfebedürftige -und zwar stets gegen den Leistungsträger nach dem
SGB II - Anspruch auf eine Mehraufwandsentschädigung. Zu zahlen ist also kein „Lohn", sondern lediglich ein Ausgleich für die zusätzlichen finanziellen Belastungen, die ihre Ursache in der Verrichtung der Arbeiten haben. Somit kann sich die Höhe der Entschädigung nicht an der Vergütung von Arbeitnehmern der öffentlichen oder freien Träger orientieren (so aber OVG NI FEVS 31, 113, OVG HH FEVS 31, 468; dagegen z.B. Columbus ZAR 1982, 201; Krahmer ZfSH 1983, 213; s. ferner BVerwGE 68, 91) und auch nicht an symbolischen Größen („l-€-Jobs"). Der Leistungsträger muss vielmehr vom tatsächlich entstehenden Mehrbedarf für Ernährung, Bekleidung (einschlie߬lich deren Reinigung), Körperpflege und
Fahrtkosten ausgehen. Die bisherige Praxis nach § 19 Abs. 2
BSHG , pauschal eine Entschädigung von 1 bis 2 € pro Stunde zu zahlen (s. Krahmer in LPK-
BSHG § 19 Rz 15), ist deshalb rechtlich nicht immer abgesichert. Allein die
Fahrtkosten können bereits darüber liegen und führen zu einem entsprechend höheren Anspruch. Pauschalierungen sind aber zulässig, denn die Entschädigung muss lediglich „angemessen" sein, also nicht jeden Mehrauf¬wand im Einzelfall ausgleichen.