Hallo hannoveraner,
deine Frage ist leider gar nicht so unberrechtigt.
Zwar wird man dir hier aus leidvoller Erfahrung berichten können, wie rechtswirksam sich solche Sanktionen oft vor Gericht erweisen. Von diesem Standpunkt aus kann man nur raten, künftig solchen Einladungen Folge zu leisten.
Womit jeder Mensch mit einem Funken Gerechtigkeitsempfinden jedoch ein Problem haben müsste, ist folgendes:
Nach Eicher/Spellbrink, § 31, RdNr 1, 60, zielen Sanktionen nicht auf eine Strafe oder ein Bußgeld ab, sondern sollen lediglich "(sozial-)pädagogisch erzieherischen Effekt" haben.
Dies ist aber aus zwei Gründen tatsächlich zu verneinen:
1.) Will man die Sanktionen nach § 31 SGB II als erzieherische Effekte ohne Strafanalogie betrachten, so müsste jede ausgesproche Sanktion unverzüglich beendet sein, sobald der Hilfeempfäger sein Verhalten ändert.
Dies ist jedoch nicht der Fall.
Im Gegenteil haben Sanktionen deutlichen Strafcharakter und werden für Zeiträume bemessen (bspw. 3 Monate), die in keinem erkennbaren Zusammenhang zum unerwünschten Verhalten des Hilfeempfängers stehen.
Dem Hilfeempfänger wird auch keine Gelegenheit gegeben, durch sofortige Änderung des Verhaltens die Sanktion gegen ihn zu beenden. Spätestens hiermit muss eine Wertung der Sanktion als "sozialpädogische Erziehung" ausscheiden.
Darüberhinaus existiert sogar ein ausgesprochenes Missverhältnis, wenn bedürftige Menschen die notwendigen Hilfeleistungen über einen langen Zeitraum nur vermindert erhalten, bloß weil sich etwa ein harmloses Meldeversäumnis ereignet hat, welches leicht zu korrigieren ist und i.d.R. auch wird, wogegen die Strafe jedoch in unverhältnismäßiger Weise fortgesetzt wird.
Man sieht, die Sanktion hat eindeutigen Strafcharakter im Sinne eines Zwangsgeldes, welches vom Existenzminimun (hierzu gleich mehr) abgezogen wird. Die Einladung ist somit defakto eine strafbewehrte Vorladung, welche im Prinzip nicht mit dem Grundgesetz vereinbar ist, da keine Straftat begangen wurde.
Aus diesem Grund wurde die umständliche Hartz-IV-Konstruktion geschaffen, die den unmittelbaren Zusammenhang verschleiert.
2.) Die Regelleistung bildet das soziokulturelle Existenzminimum ab, also Ernährung, Körperpflege, Hausrat und sonstige Bedarfe des täglichen Lebens sowie Anteile der früheren einmaligen Beihilfen für Bekleidung.
Dieser Teilhabeanspruch ergibt sich aus dem Grundgesetz und war zu früheren Zeiten Grundlage für das inzwischen abgeschaffte Bundessozialhilfegesetz (BSHG).
Mit Einführung der Hartz-IV-Gesetzgebung und den nunmehr vielfältigen Möglichkeiten, auf unverwünschtes Verhalten einzuwirken, ist eine erhebliche Analogie zur Strafe zu sehen, da die sogenannten Sanktionen nach § 31 SGB II eben nicht in einen etwaigen finanziellen Komfortbereich stoßen, der möglicherweise durch besondere Zulagen entstanden wäre und nun zur Disposition stünde und in den man dann aus erzieherischen Gründen beliebig sanktionieren könnte, weil sich der Hilfeempfänger angeblich nicht an gültige Vereinbarungen hält, die zu den gewährten Aufstockungen führten.
Stattdessen greifen Sanktion unmittelbar dort ein, wo es dem Bedürftigen zum menschenwürdigen Dasein eigentlich verfassungsrechtlich zugesichert sein sollte, und für das auch nach dem Grundgesetz keine Möglichkeit vorgesehen ist, dies zu verwirken, mit Ausnahme einer rechtmäßigen Verurteilung wegen einer begangenen Straftat.
Der Strafcharakter ist somit eindeutig zu bejahen.
Sanktionen nach § 31 SGB II übertreffen teilweise sogar die Reichweite gerichtlich zugemessener Strafen und sind als unbedingt verfassungswidrig abzulehnen. Werden in lebensnotwendige Bereiche hinein Kürzungen vorgenommen, muss von der Kenntnis einer Not ausgegangen werden (die ja als solche bereits nachgewiesen wurde und ohne die der Hilfeempfänger nicht in den Leistungsbezug gelangt wäre), wie auch von der Absicht der Leistungsbehörde, dieser Not nicht oder nur teilweise abhelfen zu wollen.
Hier stellt sich die Frage, ob zu einem späteren Zeitpunkt, in dem die politische Lage eine andere ist, sich einzelne Arbeitsvermittler nicht möglicherweise vor Gericht verantworten müssen, weil sie nicht glaubhaft machen können, dass ihnen die Not des Hilfesuchenden verborgen geblieben ist, obwohl sie davon Kenntnis hätten haben können (und müssen).
Leider ist die politische Landschaft derzeit so, dass kaum genügend soziale Intelligenzen öffentlich auf diese Misstände hinweisen. So ist bedauerlicherweise bei fast allen Gerichten bishin zum BSG in Kassel zu beobachten, dass man sich dort von den Wortschöpfungen der Arbeitsmarktreform Sand in die Augen streuen lässt; der Zusammenhang zwischen Leistungseinschränkungen und grundrechtswidrigen Eingriffen bleibt überwiegend unerkannt, die sachliche Aufklärung ist ungenügend; die Zusammensetzung der Regelsätze bleibt intransparent; man stellt anteilige Pauschalen als nahezu beliebig deckungsfähig hin und lässt die allgemeine Preissteigerung sowie die unmittelbaren Härten, die beispielsweise durch das Gesundheitsmodernisierungsgesetz entstanden sind (etwa bei Zuzahlungen, Praxisgebühren, Sehhilfen usw.) unberücksichtigt.
Dies führt ohnehin schon zu einer akuten und mithin verfassungswidrigen Notlage bei vielen Beziehern von Regelleistungen.
Wer als Arbeitsvermittler glaubt, in diese empfindlichen Bereiche noch weiterhin Kürzungen vornehmen zu können, sollte sich meiner Meinung nach eines Tages hierfür auch vor einer Strafgerichtskammer wiederfinden. Zu klären wäre, ob er die Tatbestände, die zur bedenklichen Sanktionierung des Hilfeempfängers führten, nicht sogar seinem Dienstherrn hätte verschweigen müssen, um gemäß § 1 Abs. 1 SGB I ein menschenwürdiges Dasein zu sichern und die Not des Hilfesuchenden abzuwenden.
Soweit mein kleiner Aufsatz hierzu als heutige Fleißarbeit
Viele Grüße
Kimba