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„Die Arbeitslosen interessieren uns nicht“ « DiePresse.comArbeitsmarkt-Experte Hilmar Schneider über die Tücken des Mindestlohns und die Notwendigkeit sozialer Kontrolle.
Die Presse: Jüngst wurde in Österreich der erneute Rückgang der Arbeitslosigkeit gefeiert. Für 2009 sagen Wirtschaftsforscher aber erstmals wieder steigende Arbeitslosenzahlen voraus. Wie soll die Politik darauf reagieren, oder ist das einfach konjunkturell bedingt?
Hilmar Schneider: Noch hält der Trend zur Erholung ja an. Allerdings sind Anzeichen für ein Kippen der Konjunktur da. Der hohe Ölpreis, der schwächelnde US-Dollar. All das muss ja einen Effekt haben. Exportorientierten Ländern wie Österreich oder Deutschland geht es noch gut. Denn Sie profitieren von der gestiegenen Nachfrage aus China und Indien.
Die OECD hat jüngst die Erholung am deutschen Arbeitsmarkt gelobt. Welchen Anteil an den sinkenden Arbeitslosenzahlen hatten die Reformen?
Schneider: Neben der Konjunktur spielt die Arbeitsmarktreform sicher eine entscheidende Rolle. Für Ältere ist der Anreiz, sich vorzeitig aus dem Erwerbsleben zu verabschieden, stark eingeschränkt worden. Die Löhne, die Arbeitslose akzeptieren, wenn sie wieder ins Berufsleben einsteigen, sind aufgrund der Verkürzung der Bezugsdauer von Arbeitslosengeld zurückgegangen, was die Dauer der Arbeitslosigkeit verringert hat.
Sie gelten als Verfechter des Workfare-Modells, wollen also die Sozialhilfe an Arbeitsleistung knüpfen. Warum denken Sie ist so ein „strenges“ System notwendig?
Schneider: Es ist wichtig, zu verstehen, dass es bei Workfare in erster Linie um das Prinzip „Leistung für Gegenleistung“ geht. Niemand muss unbedingt die Straße kehren, um Unterstützung zu erhalten. Er kann auch eine Ausbildung machen, oder nachweisen, dass er sich regelmäßig um Jobs bewirbt. Im Grunde sollen die Betroffenen nur aktiviert werden, die Arbeitsleistung kommt dabei erst zum Schluss. Als letzte Instanz für die, denen sonst nichts geholfen hat.
Allerdings sinken doch die Branchenlöhne für alle, wenn immer billigere Arbeitskräfte nachkommen, oder?
Schneider: Nein. Es geht bei Niedriglohntätigkeiten um ein spezifisches Arbeitsmarktsegment. Die Zahl der Arbeitsplätze ist kein Kuchen mit fixer Größe, den man nur verteilen muss. Der kann wachsen und schrumpfen, und das ist die Sache der Politik. Aber eine Politik, die Menschen dafür prämiert nicht zu arbeiten und die Mindestlöhne so anhebt, dass es Arbeitsplätze kostet, sorgt dafür, dass dieser Kuchen schrumpft.
Was halten Sie vom Gegenmodell des Kombilohns? Der macht die Arbeit doch zumindest für Unternehmen auch billiger.
Schneider: In der Theorie ist der Kombilohn in Ordnung. In der Praxis hat er einen entscheidenden Nachteil: Untere Einkommen können zwar gut subventioniert werden. An der Schwelle, an der die Subventionen auslaufen, beginnen die Menschen aber zu rechnen und kommen dahinter, dass sie mit einem Teilzeitjob und der Subvention kaum Geld verlieren würden. Je nach Ausgestaltung kann ein Arbeitsloser, der durch den Kombilohn wieder erwerbstätig wird, den Staat so rund 50.000 bis 70.000 Euro kosten.
Das Workfare-Modell scheint dagegen eher billig für den Staat. Was würde sich verändern, wenn es eingeführt würde?
Schneider: Erstaunlich ist, dass die Wirkung nicht unbedingt bei denen auftritt, die primär davon betroffen wären, sondern bei denen, die potenziell betroffen sein könnten. Es gibt einen Präventiv-Effekt, der dazu führt, dass die, die mit der latenten Drohung konfrontiert sind, letztlich ihr Verhalten ändern. Der Sozialstaat wird immer bereit sein, Menschen zu unterstützen, die unverschuldet in Not geraten sind. Aber ist das Sozialnetz zu großzügig gestrickt, gibt es einen Anreiz, das System auszunutzen. Das hält auf Dauer kein Sozialmodell aus