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Psychologie in der Krise: Das Prekariat auf der Couch | Frankfurter Rundschau - Wissen & BildungPsychotherapie lebt von und in Rahmenbedingungen - häufig mehr als sich ihre Betreiber bewusst machen. Denn längst regieren die Gesetze des kapitalistischen Marktes auch die Psychotherapieausbildungen. Dem elitären Bewusstsein psychoanalytischer Institute und ihrer Vertreter wird weniger durch tiefe Einsichten als durch Konkurrenz zahlreicher alternativer Ausbildungsangebote Einhalt geboten.
Zudem erweist sich, dass die Prognose vieler Patienten mit Untersozialisation, Defiziten bei Disziplin, elementärer Bildung und Ausbildung für klassische Psychotherapie gleich welcher Couleur wenig vielversprechend ist: Gesellschaftspolitische Rahmenbedingungen beeinflussen Verläufe, Ergebnisse und selbst Diagnosen innerhalb stationärer wie ambulanter Psychotherapie.
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Denn tatsächlich benötigt ein ambulanter Psychotherapiepatient mehr noch als ein stationärer so genannte Sekundärtugenden wie Disziplin, Zuverlässigkeit, Frustrationstoleranz und ein gewisses Regelbewusstsein. Daneben bedarf es einer basalen Bildung, die auch die Fähigkeit beinhaltet, sich selbst wenigstens ansatzweise zu reflektieren und in Frage zu stellen.
Die genannten Fähigkeiten werden jedoch , glaubt man den Klagen von Lehrern, und Arbeitgeberverbänden, im Elternhaus immer weniger vermittelt. Die durch zahlreiche Untersuchungen wie die Pisa-Studie belegte deutsche Bildungsmisere kompensiert diese Mängel nicht. Im Gegenteil produziert das deutsche Bildungssystem immer mehr Jugendliche ohne Schulabschluss, Schulabbrecher oder -verweigerer. Häufig wird monatelanges Fehlen von Schülern überhaupt nicht bemerkt oder hat keine Konsequenzen.
Schlechte Ausbildung, nachfolgende Arbeitslosigkeit und ein schlechter Gesundheitszustand im Vergleich zu anderen Bevölkerungsschichten sind Zwillinge: Defizitäre Sozialisationsbedingungen produzieren kränkere Menschen, die sich aus ihrem Elend mangels Fähigkeiten immer weniger selbst befreien können: Kein noch so gutes oder teures Gesundheitssystem kann die gravierenden Mängel bei Bildung und Ausbildung, Sozialisation und Sekundärtugenden heilen.
Dennoch findet eine Verlagerung von Kosten und Belastungen aus den Sozial- und Bildungsbudgets in jene der Gesundheitskassen statt. Sparwut oder mangelnde Motivation, benachteiligten Kindern und Jugendlichen bessere Chancen, Kitas und Förderung zu bieten, führen auf direktem Wege zu steigenden Kosten im Gesundheitswesen.
Es mangelt an Jugendhilfe, höheren und differenzierteren Hartz-IV-Sätzen für die Erziehungsberechtigten mit entsprechender Beratung und Begleitung. Schlechterer Allgemeinzustand, schlechte Ernährung, ungesunde Lebenswelten und mangelnde Anerkennung durch Berufstätigkeit fördern beides, somatische wie psychische Erkrankungen.
Jo, die so tolle "Ellenbogengesellschaft" machts möglich.Nirgends werden die Folgen sozialer Verelendung und Untersozialisation, von Sucht und Gewalt, psychischer und körperlicher Verwahrlosung, Schröderscher Agendapolitik, Globalisierung oder gescheiterter Migration deutlicher als in psycho-sozialen Einrichtungen, besonders der Psychiatrie. Doch die Hürde zu einer ambulanten, aufdeckenden oder verhaltenssteuernden Psychotherapie nehmen nur jene, die den Psychotherapeuten und ihrer Schicht potentiell ähnlich sind: Für die Konsequenzen verfehlter Sozial- und Bildungspolitik gibt es keine Psychotherapie.