„Größeren Parteien geht das am Allerwertesten vorbei“
In Erfurt formulierten arbeitslose Thüringer ihre Forderungen an die Parteien – beim Arbeitslosenparlament, das es seit zehn Jahren gibt
Erfurt – Rolf Baumanns mäandernde Rede will nicht so recht zünden an diesem trüben Tag in der Landeshauptstadt. Der Mann mit der weinroten Krawatte hält sich mit beiden Händen am Rednerpult fest und erklärt, dass die SPD, also seine Partei, seit 100 Jahren für Freiheit und soziale Gerechtigkeit, für eine Politik des Zusammenhalts steht. Eine Partei, die wolle, dass es in Thüringen gerecht zugeht, dass jeder die bestmöglichen Chancen bekommt. Die Adressaten seiner Rede haben oft schon jeden Glauben an gerechte Chancen verloren – Arbeitslose, Hartz-IV-Empfänger und solche, die ihnen in Hilfsvereinen zur Seite stehen. Baumann, Landtagsmitglied, Wahlkreis Meiningen, spricht zum Arbeitslosenparlament, das im Thüringer Landtag berät. Wahlprüfsteine sollen bei der 25. Sitzung erarbeitet werden, zwei Handvoll Forderungen an alle Parteien, die sich im Spätsommer zur Landtagswahl stellen.
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Arbeitslose haben kaum eine Lobby
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Die Bezeichnung Parlament täuscht ein wenig über die Machtlosigkeit der Veranstaltung hinweg. Gesetze werden hier nicht diskutiert, es gibt keine Regierungsfraktion und keine Opposition. Die Bezeichnung täuscht darüber hinweg, dass die Lobby der Arbeitslosen klein ist, obwohl fast 150 000 Thüringer betroffen sind.
Vielleicht wirkt Hans-Hermann Hoffmann, violettes Hemd, randlose Brille, deshalb ein wenig wie ein Pfarrer, der immerzu vor Ungläubigen predigen muss. Hoffmann ist Chef der Thüringer Arbeitsloseninitiative und Präsident des Arbeitslosenparlaments. „Es gibt Kinder- und Jugendparlamente“, sagt er. „Warum nicht auch ein Arbeitslosenparlament?“
Vor zehn Jahren kam es in Thüringen zum ersten Mal zusammen, 100 Tage nach Antritt der Schröder-Regierung. Beobachten wollte man, was die rot-grüne Regierung tut, was sie besser richten will. „Alle unsere Erwartungen sind nicht eingetroffen“, sagt Hoffmann in seiner Eröffnungsrede. „Es ist viel passiert, das meiste zum Nachteil der Betroffenen.“ Hartz IV wurde eingeführt, die öffentlich geförderte Beschäftigung zusammengestrichen.
Jetzt steht eine Wirtschaftskrise im Land; Hoffmann befürchtet „Einsparungen auf der ganzen Linie“. Er befürchtet, es werde bei den Betroffenen gespart, weil es leichter sei, einem Arbeitslosen 50 Cent wegzunehmen als dem Millionär 100 Euro.
Einfluss nehmen wolle man deshalb auf die Vorbereitung der Landtagswahl, indem man Arbeitslose dazu bewegt, Forderungen und Ansprüche zu formulieren. Kommunale Beschäftigung und gleichberechtigten Zugang zu Kultur und Sport nennt Hoffmann als Beispiele.