Arbeitskampf in kirchlichen Einrichtungen

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wolliohne

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– Dritter Weg
Der Erste Senat des Bundesarbeitsgerichts hat die Revisionen der Kläger zurückgewiesen. Die Beeinträchtigung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts durch einen Arbeitskampf ist nicht ausnahmslos rechtswidrig. Das Recht der Evangelischen Kirche von Westfalen und ihrer diakonischen Einrichtungen aus Art. 140 GG iVm. Art. 137 Abs. 3 WRV, die eigenen Angelegenheiten zu ordnen und zu verwalten, ist funktional auf die Verwirklichung der Religionsfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG bezogen. Sein Schutzbereich umfasst auch die Entscheidung, die Arbeitsbedingungen der in der Diakonie beschäftigten Arbeitnehmer nicht mit Gewerkschaften durch Tarifverträge zu regeln, sondern entsprechend ihrem religiösen Bekenntnis einem eigenständigen, am Leitbild der Dienstgemeinschaft ausgerichteten Arbeitsrechtsregelungsverfahren zu überantworten. Das schließt die Befugnis ein, die Regelung der Arbeitsbedingungen einer paritätisch besetzten Arbeitsrechtlichen Kommission sowie einer Schiedskommission mit einem unparteiischen Vorsitzenden zu übertragen.
Dieses – von staatlichen Gerichten nicht zu überprüfende – religiöse Bekenntnis kollidiert mit der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Koalitionsfreiheit einer Gewerkschaft, sofern sich die Religionsgesellschaft der Privatautonomie zur Begründung von Arbeitsverhältnissen bedient. Ein wesentlicher Zweck der geschützten Koalitionsbetätigungsfreiheit ist der Abschluss von Tarifverträgen zur Regelung der Mindestarbeitsbedingungen ihrer Mitglieder. Soweit die Verfolgung dieses Koalitionszwecks vom Einsatz bestimmter Mittel abhängt, werden diese vom Schutz des Grundrechts erfasst. Dazu zählen auch Arbeitskampfmaßnahmen, soweit sie funktional auf den Abschluss von Tarifverträgen gerichtet sind. Die Gewährleistungen des Art. 9 Abs. 3 GG sind allerdings nicht auf die Tarifautonomie beschränkt, sondern erfassen auch konsensuale Lösungen.
Diese Grundrechtskollision haben staatliche Gerichte bei der Entscheidung über einen zivilrechtlichen Unterlassungsanspruch einem schonenden Ausgleich nach dem Grundsatz praktischer Konkordanz zuzuführen. Bei einer hiernach vorzunehmenden Güterabwägung bestimmen sich auf Seiten der Religionsgesellschaft Maß und Gewicht der Beeinträchtigung nach ihrem Selbstverständnis. Hiernach führt ein Arbeitskampf zur Erzwingung eines Tarifvertrags zur Auflösung der Dienstgemeinschaft. Er beeinträchtigt in schwerwiegender Weise das diakonische Wirken und beschädigt die Glaubwürdigkeit der Kirche. Demgegenüber bewirken der Ausschluss tarifautonomer Arbeitsrechtssetzung und eines Arbeitskampfes zu deren Erzwingung eine substanzielle Beschränkung des Koalitionsbetätigungsrechts einer Gewerkschaft. Zudem werden ihre Möglichkeiten zur Mitgliederwerbung, die für den Fortbestand einer Gewerkschaft unerlässlich ist, ganz erheblich gemindert.
Die Gewichtung dieser grundrechtlich geschützten Belange zur Herstellung praktischer Konkordanz lässt ein Zurücktreten der Rechte einer Gewerkschaft nur zu, sofern diese sich innerhalb des Dritten Weges noch koalitionsmäßig betätigen kann, die Arbeitsrechtssetzung auf dem Dritten Weg für die Dienstgeber verbindlich ist und als Mindestarbeitsbedingung den Arbeitsverträgen auch zugrunde gelegt wird.
Quelle: Bundesarbeitsgericht Anmerkung: Siehe dazu die Meldungen von ver.di, der katholischen und der evangelischen Kirche sowie Kommentare und eine Presseschau auf LabourNet .
Siehe auch: „Urteil zu Arbeitskampf in Kirchen: Ein bisschen streiken ist erlaubt Ein schaler Sieg für die Gewerkschaft Ver.di: Mitarbeiter von Kirchendürfen auch in Zukunft nur ausnahmsweise streiken, urteilt das Bundesarbeitsgericht.“ Artikel von Christian Rath in der TAZ vom 20.11.2012 „Und wieder siegt die Kirche – Das Urteil des höchsten deutschen Arbeitsgerichts ist kein Erfolg für die Beschäftigten und die Gewerkschaft Ver.di. Grundsätzlich haben die Richter nicht am Dritten Weg der Kirchen gerüttelt.“ Kommentar von Eva Völpel in der taz vom 21.11.2012 „Bundesarbeitsgericht bestätigt Streikrecht in der DiakoniE“ „Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) sieht sich in der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) zum Streikrecht in kirchlichen Einrichtungen bestätigt. „Damit ist das von der Diakonie beantragte Streikverbot vom Tisch. Arbeitnehmer in kirchlichen Einrichtungen und die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft können sich auf die Koalitionsfreiheit und damit auf das Streikrecht berufen, weil der Dritte Weg unzureichend ist“, sagte der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske am Dienstag in Erfurt…“ Pressemitteilung von ver.di vom 20.11.2012. „Bundesgericht mahnt Kirchen und Gewerkschaften zu Zusammenarbeit Meldung beim Evangelischen Pressedienst vom 20.11.2012. Aus dem Text: „…Der Präsident des diakonischen Bundesverbandes, JohannesStockmeier, indes sieht das kirchliche Arbeitsrecht durch das Urteilgestärkt: «Das bestehende System des Dritten Weges hat eine dicke Unterstreichung erfahren.» Er erklärte die BAG-Entscheidungen, dass die Revisionen von Diakonie und Kirche zurückgewiesen wurden, damit, dass es sich in den verhandelten Streitfällen um «atypische Einzelfälle» gehandelt habe….“>> Gemeinsam sind wir stark>> „Gestern war ein guter Tag für die Kirche und ihre Caritas: der ersteSenat des Bundesarbeitsgerichts hat in Erfurt entschieden, dass Streik und Aussperrung in kirchlichen Einrichtungen nicht zulässig sind, wenn der Dritte Weg konsequent eingehalten wird. Erst die ausführliche Urteilsbegründung, die voraussichtlich in einigen Monaten vorliegt, wird die Argumente im Einzelnen deutlich werden lassen. Doch eines kann jetzt schonfestgestellt werden: Die Dienstgemeinschaft lebt vom Konsens, nicht von einem Recht auf Streik und Aussperrung…“ Kommentar von Peter Neher,Präsident des Deutschen Caritasverbandes, auf katholisch.de vom 21.11.2012 “Punktsieg für die Gewerkschaften” Presseschau Streikrecht in der Frankfurter Rundschau vom 21.11.2012 Thema Kirche – Ein Special bei der Wirtschaftwoche.
passend dazu: Gott hat hohe Nebenkosten
Bernadette K. wurde als Leiterin eines katholischen Kindergartens entlassen, weil sie sich von ihrem Mann trennte und zu einem neuen Partner zog. Ehebruch. Ein Verstoß gegen die Loyalität zur ihrem Arbeitgeber, hatte die Kirche entschieden und ihr gekündigt. Wie Bernadette K. arbeiten weit über eine Million Menschen in sozialen Einrichtungen für die Kirchen – in Kindergärten, Krankenhäusern, Schulen und Altenheimen. Sie alle unterliegen einem besonderen Arbeitsrecht.
Doch wo Kirche draufsteht, ist häufig vor allem Staat drin. Denn für die christlichen Einrichtungen zahlt zum größten Teil die Allgemeinheit. Der Kindergarten, in dem Bernadette K. arbeitete, wird zu 100 Prozent aus öffentlichen Geldern finanziert. Bei Caritas und Diakonie finanziert die Kirche selbst nur noch etwa zwei Prozent des Etats, 98 Prozent trägt die Gesellschaft. Die Allgemeinheit zahlt Milliardenbeträge, aber sie hat nichts zu sagen. Wie kommt es zu diesen Summen? Und wofür gibt die Kirche das eigene, das Kirchensteuer-Geld aus?
Autorin Eva Müller machte sich auf die Suche. Sie sprach mit Bernadette K. und den Kirchenvertretern, die ihr kündigten, und sie zeigt an weiteren Beispielen aus dem ganzen Land, welche Sonderrechte die Kirche hat, woher die Kirche ihr Geld bekommt und was sie damit macht.
Quelle: Das Erste
Sendetermin: Mo, 26.11.12, 22:45 Uhr, Das Erste
 
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