schade dass es solche Urteile nur für ALGI Bezieher gibt. Sobald man ALGII bezieht darf man ja wie ein entmündigter Volltrottel behandelt werden.
Eben nicht! Es gibt ohne weiteres die Möglichkeit, Schlussfolgerungen und Formulierungen aus einem Richterspruch für die eigenen zwecke zu "instrumentalisieren", auch wenn die im Rahmen einer Klage eines ALG I Beziehers ergangen sind. Die BA tut das ja auch: Die sucht sich auch d
ie für sie passenden Einzelfallentscheidungen raus und lässt diese in die eigenen fachlichen Hinweise einfließen.
Für einen selbst gilt als Grundprämisse, die man bei der Entwicklung einer Strategie (mittels Bezug auf Logik, Recht und Pragmatismus) entwickeln sollte, folgendes: Wenn ein Argument logisch ist, ist es
logisch. Da spielt der Kostenträger keine Rolle. Wenn z.B. gilt, dass ein deutlich unterfordernder Kurs einem Erwerbslosen nicht zugemutet werden kann, spielt es - rein von der Logik - keine Rolle, ob man ALG I oder ALG II bezieht.
Das Argument der Nicht-Zumutbarkeit einer Maßnahme für Menschen im ALG I Bezug, nicht jedoch im ALG II Bezug, würde lediglich dann nicht greifen, wenn es irgendwo hieße, dass an die Prüfung der Sinnhaftigkeit einer Maßnahme im ALG II Bezug geringere Standards anzugelegn sind als im ALG I Bezug. Die Standards
sind aber formal gleich. Alles andere wäre institutionelle Diskrimierung (die es in der Realität gibt, aber gesetzlich eben nicht geben darf).
Es heißt zwar im § 2 SGB II, dass ALG II Beziehende
alle Möglichkeiten zur Beendigung oder Verringerung ihrer Hilfebedürftigkeit ausschöpfen müssen, doch müssen es eben auch wirklich
Möglichkeiten sein. Sprich: Der Grundsicherungsträger muss unter Bezugnahme auf die Stärken und Schwächen des Erwerbslosen deutlich machen,
warum eine Maßnahme - und zwar genau die, zu der zugewiesen wird - eine probate Möglichkeit zur Beendigung oder Verringerung der Hilfebedürftigkeit ist.
In diesem Zusammenhang ist auch zu beachten, dass das hessische Landessozialgericht (
HessLSG L 6 AL 216/04) vor 11 Jahren etwas festhielt, was auch aus dem GG hervorgeht, dass der Mensch nämlich
nicht in unerlaubter Weise zum Objekt staatlichen Handelns werden dürfe. Umso mehr ist in diesem Kontext nun auch die Neuformulierung des § 15 SGB II interessant, wo jetzt explizit auf die Notwendigkeit der Potenzialanalyse und deren Berücksichtigung bei der EGV eingegangen wird.
Das bedeutet, so meine Schlussfolgerung, dass zukünftig die Arbeitsvermittler weit mehr darauf achten müssen, dass die Notwendigkeit für eine Maßnahme
in der EGV hinreichend bestimmt ist. Diese Vorgabe bestand zwar auch bisher bereits (und wurde in der Praxis fast immer missachtet), durch die Neuformulierung des § 15 SGB II bekommt sie aber
deutlich mehr Gewicht, so dass ich hier einen guten Angriffspunkt für eine Abwehr sinnfreier Maßnahmen sehe (weil kaum ein Arbeitsvermittler die Zeit und Lust hat, solch individualisiere EGV-Texte zu erstellen).
Und dies noch allgemein bemerkt: Die Tatsache, dass all die guten Abwehr-Urteile bei Klienten im ALG I Bezug ergangen sind, hat nichts damit zu tun, dass man solche Entscheidungen nicht auch im ALG II Bezug hervorrufen könnte. Mit Bezugnahme auf soziologische und sozialpsychologische Forschungen
vermute ich, dass die Tatsache, dass Abwehr-Urteile gegen Maßnahmen deutlich öfter bei ALG Iern ergehen, auf folgendes zurückzuführen ist:
Hypothese 1: ALG Ier sind in der Tendenz arbeitsmarktnah und in der Regel nicht in dem Abhängigkeitsverhältnis vom Amt, wie das bei vielen ALG IIern der Fall ist. Viele von ihnen trauen sich deshalb mehr, gehen in Widerspruch und klagen, wenn ihnen was nicht passt.
Hypothese 2: ALG Ier haben in der Tendenz ein größeres Netzwerk und sind oft informierter als viele ALG IIer. Daher finden sie öfter versiertere Anwälte, die sich effektiver für ihre Belange einsetzen.
Hypothese 3: ALG Ier haben in der Tendenz mehr Kampfkraft als Menschen im ALG II Bezug, die mitunter frustrieren, resignieren und kaum mehr gegen die "Mühlen" ankämpfen. Der ALG I Bezug führt in der Regel zu einem höheren Aktivismus (um ja nicht in ALG II zu fallen), was dann - wenn letzteres doch passiert - mehr und mehr Kraftlosigkeit und Scham weicht.
Foresight Hypothese: Etwas Grundlagendes ändern wird sich erst dann, wenn weit mehr gut qualifizerte und gut vernetzte Leute über längere Zeit ALG II beziehen. Denn die haben die Kraft und Vision, etwas zu bewirken. (Ganz interessant ist, dass die BA selbst diese "Gefahr" auch erkannt hat und mittels ihrer
BA 2020 Strategie anzugehen versucht). Die derzeitige Entwicklung (Digitalisierung -> Verschwinden von Arbeitsplätzen -> Aufbegehren des großen Heers qualifizierter Erwerbsloser) dürfte dazu führen, dass ALG II in der bestehenden Form in 20 Jahren nicht mehr existieren wird.