Prospektive Schätzung EKS und "Aktualisierungsantrag"
Zur Ermittlung des Einkommens Selbständiger im Rechtskreis SGB II
[FONT="]Prospektive Schätzung des Einkommens Selbständiger im Rechtskreis SGB II[/FONT]
Ist zukünftiges (anrechenbares) Einkommen in unterschiedlicher Höhe zu erwarten, so bietet § 40 Abs. 1 Satz 2 Z. 1a
SGB II iVm § 328
SGB III die Möglichkeit der vorläufigen Entscheidung. Ggfs. könnte auch eine vorschussweise Zahlung gem. § 42
SGB I in Betracht kommen. Beide Vorgehensweisen erfordern natürlich eine prospektive Schätzung des zu erwartenden Einkommens.
Für Einkommen aus nicht selbständiger Tätigkeit liefert § 2 Abs. 3
ALG II -V eine Beschreibung, wie hier vorzugehen ist. Auch hier kommt es ständig zu unrechtmäßigen Überschätzungen zu erwartenden Einkommens. Ein Teil der hier folgenden Ausführungen ist auch für die prospektive Schätzung schwankenden Einkommens aus nicht selbständi*ger Tätigkeit anzuwenden.
Einkommen aus selbständiger Tätigkeit unterliegt prinzipiell dem Risiko größerer Schwan*kungen und Unsicherheiten als Einkommen aus nicht selbständiger Tätigkeit. Das gilt sowohl für die Zufluss- (Einnahmen-) als auch für die Abfluss- (Ausgaben-) seite.
Über die Ermittlung des für eine vorläufige Entscheidung anzurechnenden Einkommen aus selbständiger Tätigkeit ent*hält die
ALG II -V keinerlei Angaben. Auch die Vorschriften des
SGB I und des
SGB III über vorläufige Bescheide sind hier nicht hilfreich. Im Rechts*kreis
SGB III ist die nachträgliche Abrechnung wesentlich. Der Arbeitsagentur reicht zu*nächst die Selbsteinschätzung als Grundlage, im Zweifel werden Einkommenssteuerbe*scheide früherer Jahre oder an*dere belegbare Begründungen verlangt. Das ist hier auch weniger problematisch, da eine selbständige Tätigkeit nur nebenberuflich (max. 15 Std./Woche) ausgeübt werden kann, um den Anspruch auf
ALG I nicht zu verlieren.
Einzelne Regionaldirektionen der
BA ziehen auch im Rechtskreis
SGB II diese Vorge*hensweise vor. Das entspräche der (vom Regelfall abweichenden) Vorge*hensweise des § 4 Abs. 4 der VO zur Durchführung des § 82
SGB XII.
Überhaupt erscheint es sinnvoll, wegen der Vergleichbarkeit der Sachlage und des Ver*botes der Ungleichbehandlung die Vorschriften der VO zur Durchführung des § 82
SGB XII anzuwenden. § 4 Abs. 3 schreibt für die Schätzung eines zu erwartenden Einkommens vor: „Als Einkünfte ist bei den einzelnen Einkunftsarten ein Betrag anzusetzen, der auf der Grundlage früherer Betriebsergebnisse aus der Gegenüberstellung der im Rahmen des Betriebes im Berechnungsjahr bereits erzielten Einnahmen und geleisteten notwendigen Ausgaben sowie der im Rahmen des Betriebes im Berech*nungsjahr noch zu erwartenden Einnahmen und notwendigen Ausgaben zu errechnen ist. Bei der Ermittlung früherer Betriebsergebnisse (Satz 1) kann ein durch das Finanzamt festgestellter Gewinn berück*sichtigt werden.“
___________________________________________________________________ Dipl. rer. soc. Norbert Hermann, Politik- und Sozialberatung, Existenzgründungsberatung Markstr. 396, 44795 Bochum, Tel-: 0234 – 46 00 70: Fax: 0234 – 46 01 13; e-mail: bo-sozialberatung@t-online.de Lehrbeauftragter für Sozialrecht; Mitglied im Dt. Verein f. öff. u. priv. Fürsorge e.V.; Mitglied des Dt. Sozialgerichtstags „Schätzung“ oder „Prognose“ in Steuerrecht und Betriebswirtschaft Der Begriff „Schätzung“ oder „Prognose“ wird in allen genannten Rechtskreisen in diesem Zusammenhang nicht er*wähnt, mag aber hier doch zutreffend sein. Die VO zur Durchführung des § 82
SGB XII spricht allerdings von „errechnen“.
Auch im Steuerrecht kommt es gelegentlich zu (nachträglichen) Schätzungen. Dazu lautet die Vorschrift, dass die ge*schätzte Höhe „wirtschaftlich möglich, vernünftig und nach den tatsächlichen Umständen wahrscheinlich sein“ muss. In der Existenzgründungsberatung und –begleitung gibt es unterschiedliche Modelle der Liquiditätsplanung und Risiko*bewertung. Die Methode der „Drei-Punkt-Schätzung“ scheint geeignet, die Exaktheit der Zeit- oder Kosten-Schätzungen deutlich zu verbessern, wenn die als Basis zur Verfügung stehenden Kosten- oder Aktivitäten-Komponenten ungewiss sind. Dabei geht es darum, die 3 unterschiedlichen Schätzungen der Projektgrößen Dauer oder Kosten zu finden, die ein pessimistischstes, ein wahrscheinliches und ein optimistischstes Szenario darstellen können.
Probleme der prospektiven Schätzung Grundsatz des Grundsicherungsrechts ist die Bedarfsdeckung. Es darf zu keiner Zeit zu einer Unter*deckung kommen. Es können nur bereite Mittel angerechnet werden. Das aus Einnahmen und Ausgaben Selbständiger ermittelte zur Verfügung stehende Ein*kommen unterliegt idR gewis*sen Schwankungen und vor allem einer grossen prognosti*schen Unsicherheit. Mutmaßungen sind auch hier nicht zulässig. Da in aller Regel auch kaum Rücklagen vorhanden sind, ist einer konservativen Vorge*hensweise bei der Schätzung der Vorzug zu geben. Das Risiko einer Überzahlung ist eher in Kauf zu nehmen als das Risiko einer Unterdeckung. Soweit existenzsichernde Leistun*gen in Frage stehen, sind die Anforderungen weniger streng zu beurteilen (vgl. BVerfG , 1 BvR 569/05 vom 12.5.2005: es „ ... dürfen existenzsichernde Leistungen nicht auf Grund bloßer Mutmaßungen verweigert werden ... “). Es gibt sehr viele Unwägbarkeiten, allein ein krankheitsbedingter Ausfall oder eine Zah*lungsunfähigkeit oder –unwilligkeit von Auftraggebenden würde jegliche Planung ebenso durcheinander bringen wie eine unerwartete Gerätereparatur oder gar eine nötige Ersatz*beschaffung. Darum gilt auch der Satz der kaufmännischen / -fraulichen Grundschule: „Ein guter Kaufmann (gute Kauffrau) sichert sich gegen alle denkbaren Eventualitäten ab, und kalkuliert vorsichtig. Er/sie plant nur sichere Einnahmen ein und hält für unvorherge*sehne Ausgaben eine Reserve von10 % bereit ... “ Ungereimtheiten bei Udo Geiger Bislang liegt in der einschlägigen Literatur nur ein Beitrag des Richters am SG Berlin GEIGER vor, der sich mit der Ermittlung des Einkommens Selbständiger nach § 3 der neuen ALG II -V (Fassung 1.1.200) befasst (1). Unter Missachtung des Bedarfsdeckungsprinzips und des Verbotes der Anrechnung fikti*ver Einnahmen räumt Geiger der SGB II-Behörde das Recht ein, auf der Grundlage von § 3 Abs. 3 S. 2 ALG II -V in der Prognose eine „angemessene Erhöhung“ des prognostizier*ten Einkommens vorzunehmen. Der zitierte Satz bezieht sich aber allein auf die Entschei*dung für die Vergangenheit. Hier bietet auch das Steuerrecht entsprechende Möglichkei*ten, wenn Mitwirkungspflichten verletzt werden, Aufzeichnungen unzureichend sind oder tatsächliche Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der Angaben beste*hen (§ 162 Abs. 2 AO). Für eine prospektive Schätzung kann das aber nicht gelten, hier dürfen im Gegenteil zur „Sicherstellung eines menschenwürdigen Lebens“ „existenzsi*chernde Leistungen nicht auf Grund bloßer Mutmaßungen verweigert werden“ (BVerfG , 1 BvR 569/05 vom 12.5.2005, Rz. 28). „Aktualisierungsantrag“ (§ 48 SGB X) Das Bedarfsdeckungsprinzip erfordert, dass ggf. auch während eines laufenden Bewilli*gungszeitraumes die Möglichkeit gegeben sein muss, über einen „Aktualisierungsantrag“ eine eingetretene Unterdeckung ausgleichen zu lassen (wie an*dererseits auch eine erheb*liche Verbesserung der Einkommenssituation anzuzeigen wäre). Anzuwenden wäre hier § 48 SGB X, wenn in den tatsächlichen Verhältnisse eine Änderung eingetreten ist. Wenn auch z.T. noch umstritten, ist den SGB II-Bescheiden eine gewisse „Dauerwirkung“ nicht abzusprechen. Anders sieht es das bayrische Landessozialgericht mit Beschluss vom 07.12.2009 (L 11 AS 690/09 B ER ): „ ... denn auf der Grundlage des § 3 Alg II-V ist der Leistungsträger nicht berechtigt, während des laufenden Bewilligungszeitraumes eine Einkommensprognose anzupassen, und es widerspricht dem Wesen einer Prognose eine Anpassung vorzuneh*men, insbesondere wenn - wie vorliegend - die Befugnis besteht eine vorläufige Entschei*dung zu treffen (§ 40 Abs 1 Satz 2 Nr.1a SGB II) und nach Abschluss des Bewilligungs*zeitraumes eine endgültige Festsetzung unter Berücksichti*gung der tatsächlichen Verhält*nisse vorzunehmen (§ 3 Abs 6 Alg II-V), so dass der ASt während des laufenden Bewilli*gungszeitraumes wesentliche Änderungen in Bezug auf seine selbständige Tätigkeit nur insoweit mitzuteilen hat, wie sie den Bezug der Einkünfte dem Grunde nach betreffen. “ Auch ist der beschließende Senat der Ansicht, „ ... dass § 3 Abs 3 Alg II-V (idF des Geset*zes vom 18.12.2008 BGBl. I S. 2780) keine Rechtsgrundlage dafür bietet, Anschaffungen eines selbständig tätigen Leistungsempfängers vorab - iS einer Genehmigung oder Ableh*nung - zu kontrollieren. Die Frage der Anschaffung von Gütern für betriebliche Zwecke obliegt allein der Verantwortung des Leistungsempfängers, und der Leistungsträger hat lediglich ein nachgehendes Prüfungsrecht, ob die getätigten Investitionen mit dem Bezug von steuerfinanzierten Sozialleistungen in Einklang zu bringen oder ob offenkundige Manipulationen zu Lasten der Sozialkassen zu belegen sind. Lediglich in letzterem Fall hat der Leistungsträger die Befugnis tatsächliche Aufwendungen unberücksichtigt zu lassen, wohingegen allein die Zweck*mäßigkeit der betrieblichen Mittelverwendung seitens des Leistungsträgers nicht zu kontrollieren ist. ... “. Während seitens der Leistungsträger sicherlich Sturm gelaufen werden wird gegen die Verneinung der Erfordernis einer Vorabkontrolle von Anschaffungen, kann die Verneinung der Möglichkeit, während des laufenden Bewilligungszeitrau*mes eine Einkommensprog*nose anzupassen, nur auf Unverständnis stoßen: denn ändert sich während des laufenden Bewilligungszeitraums die für die ursprüngliche Prognose maßgebliche Sach- und Rechtslage ist eine Bewilligung nach den Grundsätzen des § 40 Abs 1 Nr 1 SGB II iVm § 48 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch, § 330 Abs 3 Sozialgesetzbuch Drittes Buch jedenfalls dann zu überprüfen, wenn die Änderung nicht nur geringfügig ist. Die Möglichkeit der Änderung einer Prognose während eines laufenden Bewilligungszeit*raums (hier über die Verwert*barkeit einer Immobilie) hat auch das Bundessozialgericht am 27.1.2009 bejaht (B 14 AS 42/07 R). Zulässigkeit einer prospektiven Schätzung Bei einer vorläufigen Leistungsbescheidung auf Grundlage einer prospektiven Schätzung handelt es sich nicht um eine Anrechnung fiktiven Einkommens. Das wäre nur zutreffend, wenn die Bescheidung endgültig wäre. Wird Einkommen in unklarer aber leistungsrecht*lich relevanter Höhe erwartet, so ist eine nachvollziehbare realistische Berechnung vorzu*nehmen unter Vermeidung des Risikos einer Unterdeckung und unter Vermeidung des Risikos einer Illiquidität und fol*gender Zahlungsunfähigkeit mit Gefährdung des Unterneh*mensbestandes. Hierzu liegen einige wenige Entscheidungen vor: Das bayrische Landessozialgericht verliert sich in der Komplexität der Begriffe „Schätzung ... für zukünftige Zeiträume“, die abgelehnt wird, und „ ... vorläufige Erbringung von Leis*tungen ... “, die allerdings ohne prospektive Schätzung kaum möglich sein wird: „ ... Eine Schätzung des Einkommens für zukünftige Zeiträume - wie von der Ag vorge*nommen - ist in § 3 Alg II-V nicht vorgesehen. Diese kann allenfalls dann vorgenommen werden, wenn das tatsächliche Einkommen nicht innerhalb eines Zeitraumes von zwei Monaten nach Ende des Bewilligungszeitraumes nachgewiesen wird (§ 3 Abs 6 Alg II-V). Ein sol*cher Nachweis ist jedoch erst nach Ablauf des streitigen Zeitraumes möglich. Für einen zukünftigen Zeitraum ist daher eine Schätzung nach dieser Regelung nicht möglich. Hier ist allein die vorläufige Erbringung von Leistungen gemäß § 40 SGB II i.V.m. § 328 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) vom Gesetzgeber vorgesehen worden. Bei einer Leistungs*ablehnung für die Zukunft hingegen müssen die jeweiligen Tatbestandsvoraus*setzungen von demjenigen nachgewiesen werden, der die Beweislast hierfür trägt. Für einen zukünftigen Zeitraum ist daher bei Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit nur die Ablehnung einer vorläufigen Leistungserbringung, nicht aber eine endgültige Ablehnung wegen Ein*kommens aus selbstständiger Tätigkeit möglich. .. “. (Beschluss vom 25.08.2008, Az. L 11 B 560/08 AS ER ). Eindeutig äußert sich das Sozialgericht Duisburg (08.12.2008, Az.: S 29 AS 213/08 ER ) und nimmt dabei Bezug auf eine Entscheidung des BSG vom 25. 6. 1998 (Az. B 7 AL 2/ 98 R), wonach der Leistungsträger „ ... solche (endgültigen) Be*willigungen mit Anrechnung zukünftigen, geschätzten Einkommens nicht vornehmen ...“ darf. Vielmehr sei „ .. aus § 115 AFG zu folgern, daß die Anrechnung von Einkommen jeweils erst nach erfolgtem Leistungs*bezug und nach durchgeführter Nebentätigkeit möglich ist ...“. Nebeneinkommensanrechnungen seien unter einen "Vorläufigkeitsvorbehalt" zu stel*len. Dafür stelle § 147 AFG (jetzt § 328 SGB III) die rechtstechnische Möglichkeit bereit . Dieser Sichtweise wird seitens der SGB II-Behörden auch regelmäßig gefolgt. Probleme entstehen dann, wenn bei mo*natlich schwankenden Einnahmen und Ausgaben von der Vorschrift des § 41 Abs. 1 Satz 3 (BWZ: sechs Monate) abge*wichen wird und als Berech*nungszeitraum einzelne Monate angenommen werden. Es kann dann zu Verlusten kom*men, die nicht mit den Einnahmen anderer Monate ausgeglichen werden können. Des weiteren kommt es in der Praxis regel*mäßig zu Unterdeckungen und Zahlungsschwierig*keiten, weil die Behörden Einkommen gerne zu hoch schätzen, um nicht anschließend eine Rückforderung veranlassen zu müssen. Schließlich wird aus Unkenntnis betriebswirt*schaftlicher und fachlicher Notwendigkeiten gerne die Notwendigkeit von Ausgabepositio*nen bezweifelt. (1) Udo Geiger: Die Anrechnung von Einkommen Selbständiger nach § 3 der neuen ALG –II-Verordnung (Fassung 1. 1. 2009), in: ZFSH/SGB 01/2009, hier: S. 14